Die nächste Begegnung
Richard fort war, fruchtbare Nahrung), und sie gerät oft richtig in Rage, weil er jetzt so wenig Zeit für sie hat. Ich erkläre ihr dann immer, >Daddy ist immer noch krank<, aber ich glaube nicht, dass diese Erklärung sie im Geringsten milder stimmen kann.
Michael hat innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Richards Rückkehr alle meine persönlichen Habseligkeiten wieder in das alte Zimmer verfrachtet. Er ist wirklich ein ganz, ganz lieber Mann. Er hat inzwischen schon wieder einmal eine weitere seiner tiefen religiösen Krisen durchgemacht (ich argwöhne, dass er seiner Überzeugung nach Vergebung für etliche besonders grässliche, grambeladene Sünden suchte), aber inzwischen hat er zu einer gewissen Mäßigung gefunden in seiner Bußarbeit—wegen der Arbeitsüberlastung, die ich zu leisten versuche. Er kümmert sich seitdem ganz wunderbar um die Kinder.
Simone fungiert als Noteinsatz-Ersatzmutter. Benjy betet sie an, und sie bringt ihm eine engelhafte Geduld entgegen. Nachdem sie uns gegenüber ein paarmal erwähnte, dass Benjy >ein bisschen langsam< ist, erklärten Michael und ich ihr, was es mit dem Whittingham-Syndrom auf sich hat. Katie haben wir das bisher nicht gesagt. Sie ist gerade sowieso in einer schwierigen Phase. Nicht einmal Patrick, der ihr überall nachläuft wie ein ver li ebter Welpe, kann sie aufheitern.
Wir sind uns allesamt — auch die Kinder — bewusst, dass wir überwacht werden. Wir tasteten die Wände im Kinderzimmer ganz genau ab (als wäre es ein Spiel, das wir spielten) und entdeckten winzige Unregelmäßigkeiten in der Wandfläche, die wir als versteckte Kameras bezeichneten. Wir meißelten das mit unsrem Werkzeug weg, aber wir konnten nicht eindeutig sagen, dass wir da ein Überwachungssystem gefunden hatten. Vielleicht sind die Kameras so klein, dass wir sie ohne Mikroskop nicht sehen können. Richard jedenfalls erinnerte sich auf einmal wieder an einen seiner Lieblingssprüche, dass fortschrittliche Technologie der Außerirdischen von Zauberei nicht zu unterscheiden sei.
Katie beunruhigten die Überwachungskameras der Oktos am meisten. Sie sprach laut und empört über die Verletzung ihrer >Privatsphäre<. Möglicherweise hat sie ja mehr Geheimnisse als wir anderen. Als Simone zu ihr sagte, das mache doch wirklich auch nichts mehr aus, weil >Gott uns ja auch die ganze Zeit überwacht<, kam es zum ersten Religionsstreit in unserer Sippe. Katie antwortete mit >Scheiße!<, was recht unfein für eine Sechsjährige ist. Ich war etw as betreten und nahm mir vor, genauer auf meine Ausdrücke zu achten.
Vergangene Woche führte ich Richard zur Vogelhöhle, in der Hoffnung, dass er sich vielleicht vor Ort wieder erinnern würde. Sobald wir in der horizontalen Abzweigung des Senkrechtschachtes waren, bekam er große Angst. »Finster«, hörte ich ihn murmeln. »Kann im Finstern nicht sehen ... aber sie können sehen.« Nachdem wir am Wasser und der Zisterne vorbeigekommen waren, wollte er nicht mehr weitergehen, also führte ich ihn wieder zurück in unseren Bau.
Richard begreift, dass Benjy und Patrick Michaels Söhne sind, und wahrscheinlich vermutet er auch, dass wir während seiner Abwesenheit wie Mann und Frau zusammengelebt haben, doch er hat noch kein Wort darüber gesagt. Michael und ich werden ihn gern um Verzeihung bitten, aber auch klarstellen, dass wir (mit Ausnahme der Zeugung Benjys) erst eine feste Liebesbeziehung eingingen, nachdem Richard zwei Jahre verschwunden war. Im Moment allerdings scheint Richard das Thema nicht sehr zu interessieren.
Bald nachdem er aus seinem Koma erwachte, begannen wir, wieder unsere alte eheliche Matte zu teilen. Wir haben uns viel gestreichelt und waren sehr lieb zu einander, aber bis vor zwei Wochen hatten wir keinen Sex. Ich begann schon fast zu glauben, dass man ihm auch die Erinnerung an Sex ausgelöscht hat, so völlig unbeeindruckt haben ihn meine gelegentlichen herausfordernden Küsse gelassen.
Aber dann kam eine Nacht, in der auf einmal wieder der alte Richard mit mir im Bett lag. Ein ähnliches Schema zeigt sich auch auf anderen Gebieten — immer wieder einmal flackern für kurze Perioden der alte, gewohnte Witz, die Energie, die Intelligenz auf. Jedenfalls — der >alte< Richard war wieder da, der glühende, lustige, einfallsreiche Liebhaber. Es war wie ein Stück Himmel für mich, und ich entdeckte wieder Höhepunkte einer Lust, die ich für längst begraben gehalten habe.
Drei aufeinanderfolgende Nächte hielt
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