Die nächste Begegnung
so.
Aber wenn ich jetzt zurückdenke, finde ich es amüsant, was für eine besessene junge Mutter ich als Zwanzigjährige war. Ich musste in allem Erfolg haben. Aber mein Ehrgeiz war von ganz anderer Art als der Francescas. Ich wollte der Welt beweisen, dass ich mich an sämtliche Spielregeln halten und trotzdem siegen konnte — genau wie im Dreisprung bei den Olympischen Spielen. Und was wäre wohl undenkbarer gewesen, als dass eine unverheiratete Frau mit einem vaterlosen Kind ins Kosmonautenteam aufsteigt? Zum Glück für mich und Genevieve gab es den Vater.
Natürlich wusste ich, erkannte es jedes Mal, wenn ich Genevieve ansah, dass Henrys Familienmerkmale unverkennbar waren. Von der Oberlippe bis zur Kinnspitze ähnelt sie ihm vollkommen. Und natürlich ging es mir gar nicht hauptsächlich darum, ihr genetisches Erbe zu leugnen. Es war mir nur einfach dermaßen wichtig, es allein zu schaffen, es wenigstens mir selbst zu beweisen, dass ich als Frau und Mutter aus eignen Stücken großartig bin, obwohl ich unpassend und unwürdig war, die Frau des Königs von England zu sein.
Meine Hautfarbe war zu dunkel, als dass ich Queen Nicole von England hätte werden dürfen ... oder auch nur das Bauernmädchen Johanna aus Lothringen bei einem jener patriotischen Volksfeste, wie die Franzosen sie so lieben. Ich frage mich, wie lange die Menschheit noch brauchen wird, bis die Hautfarbe eines Menschen auf dem Planeten kein Diskriminierungsmerkmal mehr sein wird. Fünfhundert Jahre? Tausend? Wie war das noch mal, was dieser Amerikaner, ich glaube, er hieß William Faulkner, gesagt hat? Irgendetwas wie, dass >Sambo< erst dann frei sein wird, wenn sämtliche seiner Nachbarn morgens aufwachen und zu sich selber und zu ihresgleichen sagen, dass >Sambo frei< sei. Ich glaube, dieser Faulkner hat recht. Wir haben gesehen, dass Rassenvorurteile nicht durch die Gesetzgebung, ja nicht einmal durch eine vernünftige Erziehung beseitigt werden können. Es muss halt im Leben eines jeden Menschen irgendwann eine >Epiphanie< geben, eine Begegnung mit dem >Göttlichen<, einen Augenblick tiefer Wahrheitserkenntnis, in welchem dem Menschen (ihr oder ihm) ein für alle Male bewusst wird, dass >Sambo< und alle anderen Geschöpfe der Welt, die sich irgendwie von ihm/ihr unterscheiden, in Freiheit leben müssen, wenn >der Mensch< überhaupt überleben soll.
Als ich vor zehn Jahren dort unten in der Grube lag und mit meinem sicheren Tod rechnete, überlegte ich mir, welche speziellen Momente aus meinem Leben ich noch einmal durchleben möchte, wenn mir die Chance dazu geboten würde. Mir fielen die Stunden mit Hen ry ein, obwohl er mir später fast das Herz brach. Und trotzdem würde ich auch heute noch diesen Höhenflug mit meinem Prinzen bereitwillig antreten. Die vollkommene Glückseligkeit erlebt zu haben — und sei es auch nur für wenige Stunden oder gar Minuten — heißt, dass man gelebt hat. Es ist im Angesicht des Todes nicht mehr von besonderer Wichtigkeit, ob oder dass der Gefährte deines grandiosen Augenblicks dich vielleicht später enttäuscht oder betrogen hat. Wichtig ist nur die Erfahrung dieser augenblicklichen Freude, die so immens ist, dass du glaubst, du bist aus der Erdatmosphäre hinausgeschossen.
In der Grube damals war es mir ein bisschen peinlich, dass meine Erinnerungen an Hen ry auf gleichem Niveau lagen wie die an meinen Vater, meine Mutter und meine Tochter. Doch inzwischen ist mir bewusst geworden, dass ich keineswegs ein einsames Monster bin, weil mir diese Erinnerungen an die Stunden mit Hen ry so viel bedeuten. Wir haben wohl alle in unserem Leben ganz besondere Augenblicke oder Erlebnisse, die nur und einzig uns selber gehören und die wir (besonders wir Frauen) eifersüchtig in unserm Herzen hüten und schützen.
Meine beste Studienfreundin, Gabrielle Moreau, blieb einmal über Nacht bei Genevieve und mir in Beauvois. Das war im Jahr vor dem Start der Newton. Wir hatten uns sieben Jahre lang nicht mehr gesehen und redeten fast die ganze Nacht, vorwiegend über die einschneidenden Gefühlserfahrungen unseres Lebens. Gabrielle war außerordentlich glücklich. Sie hatte einen gutaussehenden, einfühlsamen und erfolgreichen Mann und drei gesunde, prachtvolle Kinder und wohnte in einem schönen Landhaus bei Chinon. Ihr >wundervollster Augenblick<, gestand sie mir fast verschämt, habe sich ereignet, bevor sie ihrem Mann begegnete. Sie schwärmte damals hoffnungslos für einen berühmten Filmstar, und der war
Weitere Kostenlose Bücher