Die nächste Begegnung
Nachmittag, nachdem seine geliebte Tochter ihm eine ihrer handfesten Umarmungen verpasst hatte.
Ein euphorisches Gefühl hat die Familie erfasst, besonders die Mädchen. Sie feiern die Heimkehr des verlorenen Vaters. Ich habe Simone und Katie schon mehrfach erklärt, dass Richards Rehabilitation höchstwahrscheinlich langwierig und schmerzlich werden würde, aber ich vermute, sie sind noch zu jung, sich klarzumachen, was das involviert.
Ich bin eine durchaus glückliche Frau. Ich konnte heute kurz vor Mittag die Tränen einfach nicht zurückhalten, als Richard mir >Nicole< entgegenhauchte. Natürlich ist mir klar, dass mein Mann von einem normalen Zustand noch weit entfernt ist, aber jetzt bin ich immerhin zuversichtlich und gewiss, dass er sich erholen wird, und das lässt mir fast das Herz zerspringen vor Freude.
18-08-2209
Mit Richard geht es langsam, aber stetig aufwärts. Er schläft inzwischen nur noch zwölf Stunden täglich, schafft fast anderthalb Kilometer, ehe er müde wird, und kann sich hin und wieder bereits auf etwas konzentrieren, wenn ihn das Problem besonders interessiert. Er hat bisher noch nicht wieder über sein Keybord und den Bildschirm Kontakt zu den Ramanern aufgenommen. Aber er hat >Prinz Heinrich< auseinandergenommen und — ohne Erfolg — versucht herauszufinden, woher diese seltsame Stimme im Kinderzimmer gekommen sein könnte.
Richard gibt bereitwillig zu, dass er nicht ganz sein sonstiges b ri llantes Selbst ist. Wenn er nämlich darüber sprechen kann, sagt er, er komme sich vor wie >in einem Nebel, irgendwie traumhaft, aber nicht so deutlich<. Seit drei Monaten ist er wieder bei Bewusstsein, doch er kann sich noch immer nicht detailliert an das erinnern, was mit ihm passierte, nachdem er uns verließ. Er glaubt, er war das letzte Jahr hindurch im Koma. Aber er stützt sich dabei mehr auf unklare Gefühlsmomente als auf irgendwelche besonderen klaren Einzelfakten.
Er behauptet nachdrücklich, er habe mehrere Monate lang in der Vogelhöhle gelebt und sei dort Zeuge einer spektakulären >Einäscherung< geworden. Einzelheiten kann er nicht beibringen. Zweimal hat Richard auch behauptet, er habe den südlichen Halbzylinder Ramas erforscht und dort nahe der Südschale den Hauptort der Oktarachniden entdeckt, doch da sein Erinnerungsvermögen von Tag zu Tag schwankt, ist es schwierig, spezifischen Gedächtnisbruchstücken größere Beweiskraft zuzumessen.
Ich habe den biometrischen Sondensatz bei Richard schon zweimal erneuert und habe nun sehr ausführliche Daten von allen seinen k ri tischen Parametern. Alle Werte sind normal, außer in zwei Bereichen — Hirnaktivität und Temperatur. Seine täglichen Hirnstromkurven spotten jeder Beschreibung. Ich finde in meiner medizinischen Enzyklopädie nichts, aber auch gar nichts, was mir helfen könnte, je zwei Tageswerte miteinander zu vergleichen, geschweige denn den ganzen Packen. Manchmal ist Richards Hirnaktivität abnorm hoch; dann wieder hat es den Anschein, als hätte sie völlig ausgesetzt. Die chemo-elektrischen Werte sind gleichfalls merkwürdig. Der Hippocampusbereich scheint praktisch inaktiv zu sein — was vielleicht eine Erklärung wäre, warum Richard dermaßen große Erinnerungsprobleme hat.
Aber auch seine Temperatur ist abnorm. Seit zwei Monaten liegt sie nun stetig um 37,8° Celsius, also gute acht Zehntelgrade über dem Normwert für einen erwachsenen Menschen. Ich bin noch mal alle seine Untersuchungsunterlagen vor dem Start durchgegangen: Auf der Erde war Richards Normaltemperatur im Durchschnitt 36.9° C. Ich kann mir einfach nicht erklären, wieso diese erhöhte Temperatur anhält. Es sieht beinahe so aus, als lägen sein Körper und irgendein Pathogen in einem Zustand der Balance. Aber was für ein Krankheitserreger könnte das sein, der allen meinen Diagnoseversuchen entwischt?
Die Kinder sind a ll e ganz besonders enttäuscht über Richards wenig freundliches und unkooperatives Verhalten. Während er fort war, haben wir alle ihn wohl mit einem mythischen Mantel umhüllt, aber es steht außer Zweifel, dass er vorher ein Mann war, der vor Energie übersprudelte. Der neue Richard ist ein bloßer Schatten seines vormaligen Selbst. Katie schwört Stein und Bein, dass sie noch ganz genau weiß, wie sie mit ihrem Daddy Ringkämpfe gemacht hat und sonstige heftige Spiele, als sie >mal grad so zwei< war (zweifellos bekam ihr Erinnerungspotential durch die Geschichten, die Michael, Simone und ich ihr erzählten, als
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