Die nächste Begegnung
ihrem Habitatsbereich entfernt schwebten. Im Schlafzimmer von Simone und Michael ging Licht an. »Ist das Benjy?«, hörte Nicole ihre Tochter ihrem alten jung- vermählten Gemahl zuflüstern.
»Ich glaub schon«, erwiderte Michael.
Nicole sah stumm zu, wie Simone aufstand, sich den Hausmantel umwarf und in den Gang trat. Im Wohnzimmer knipste Simone das Licht an, und dort lag Benjy zusammengerollt auf dem Sofa.
»Aber was machst du denn noch hier, Benjy?«, fragte Simone liebevoll. »Du sollst doch längst im Bett sein — es ist schon sehr spät.« Und sie streichelte sanft die ängstlich verkniffene Stirn ihres Bruders.
»Konn-te nicht schla-fen«, antwortete Benjy mühsam, »hab Angst we-gen Mam-mi.«
»Sie kommt bald heim«, sagte Simone tröstend. »Bestimmt ist sie bald wieder daheim.«
Nicole spürte einen Kloß im Hals, und ein paar Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie blickte zum Adler hinüber, dann in das erleuchtete Apartment vor ihr und schließlich zu den glühwürmchengleichen Fahrzeugen hoch über ihrem Kopf. Sie holte tief Luft. »Also gut«, sagte sie, »ich werde das Video machen.«
»Ich beneide dich«, sagte Richard. »Ehrlich. Ich hätte liebend gern beide Arme eingetauscht für ein Gespräch mit diesem Geschöpf.«
»Es war erstaunlich«, sagte Nicole. »Sogar jetzt noch fällt es mir schwer zu glauben, dass es sich tatsächlich ereignet hat ... Aber ebenso erstaunlich ist es, dass der Adler irgendwie vorher schon wusste, wie ich darauf reagieren würde.«
»Das war nur Vermutung bei ihm. Er konnte nicht wirklich damit gerechnet haben, dass sich die Schwierigkeit mit dir so einfach lösen lassen würde. Du hast ja nicht mal auf seiner Antwort bestanden, was eine Paarung zwecks Fortpflanzung angeht ...«
»Hab ich aber doch«, erwiderte Nicole, leicht in die Enge get ri eben. »Er hat mir erklärt, dass die Embryologie beim Menschen ein derart erstaunlich komplizierter Prozess sei, dass nicht einmal sie genau wissen könnten, welche Funktionen exakt eine Menschenmutter erfüllt, ohne dass sie die Reifung und Entwicklung eines Fötus beobachten konnten.«
»Verzeih mir, Liebes«, sagte Richard hastig. »Ich hab damit nicht bezweifeln wollen, dass dir wirklich gar keine andre Wahl blieb ...«
»Ich hatte den Eindruck, als bemühten sie sich wenigstens, meine Bedenken zu beschwichtigen.« Nicole stieß einen Seufzer aus. »Aber vielleicht mach ich mir was vor. Denn schließlich hab ich dann ja das Video doch gemacht ... genau, wie die das geplant hatten.«
Richard zog sie in die Arme. »Hab ich doch grad schon gesagt, Liebes. Dir blieb keine andre Wahl. Sei nicht zu streng mit dir selber.«
Nicole gab ihm einen Kuss und richtete sich im Bett auf. »Aber was ist, wenn sie dieses Datenmaterial dazu benutzen wollen, eine erfolgreiche Invasion oder so was vorzubereiten?«
»Darüber haben wir doch schon unzählige Male gesprochen., erwiderte Richard. »Ihre technische Überlegenheit ist dermaßen groß, dass sie die Erde in Minutenschnelle in Besitz nehmen könnten, wenn das ihre Absicht wäre. Und der Adler selbst hat ja auch darauf hingewiesen: Wenn die Besetzung und Unterjochung der Erde ihr Ziel wäre, dann könnten sie das mit einem weitaus weniger raffinierten und aufwendigen Verfahren erreichen.«
»Ja, und wer ist jetzt übertrieben vertrauensselig?«, fragte Nicole mit einem gezwungenen Lächeln.
»Oh, gar nicht vertrauensselig — bloß realistisch. Ich bin sicher, dass das Gesamtwohl der menschlichen Erdbewohner in der Prioritätenliste der Nodus-Intelligenz keine große Rolle spielt. Aber ich denke auch, du könntest aufhören, dir selbst Skrupel zu machen, dass du eventuell mit deinem Video zur Komplizin an einem Verbrechen wirst. Der Adler hat recht. Höchstwahrscheinlich hast du damit nur den >Akquisitionsprozess< weniger schwierig gemacht — auch für die Erdenbewohner.«
Sie schwiegen eine Zeitlang. Schließlich sagte Nicole: »Liebster? Wieso meinst du, wir werden nicht direkt zur Erde zurückkehren?«
»Ich vermute, wir müssen vorher noch irgendwie haltmachen. Wahrscheinlich, um eine weitere Spezies an Bord zu
nehmen, die zur selben Projektphase gehört wie wir.« »Und die leben dann in diesem andren Modul in Rama?« »Ja, das möchte ich annehmen«, erwiderte Richard.
9
Der Tag des Abflugs war der 13. Januar 2214. So nach dem Kalender, der von Richard und/oder Nicole peinlich genau geführt worden war, seit Rama den Nukleargeschöpfen der Erdflotte
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