Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
herausfordernd an.
«Ist doch ganz einfach: Paul geht hier nur deshalb vorbei, weil er weiß, dass du in diesem Laden arbeitest. Aber
…
» Sie machte eine Spannungspause. «… er kommt nicht rein, weil er sich nicht traut.»
Für einen Moment schwieg ich, um ihre Worte auf eine versteckte Information zu durchforsten. Leider ohne Erfolg. «Äh
…
und was soll das deiner Meinung nach – oder von mir aus auch nach Meinung dieser unendlich weisen Menschen – bedeuten?»
«Ach Mann, Nella!» Mashavna rollte mit den Augen. «Das bedeutet natürlich, er möchte mit dir reden. Dich sehen. Vielleicht sogar die ganze Sache aufklären. Möglicherweise empfindet er ja doch etwas für dich.» Sie machte ein mitfühlendes Gesicht. «Aber ihm ist klar, dass du sauer auf ihn bist. Und aus Angst vor einer Zurückweisung bleibt er lieber gleich draußen und hofft auf ein Wunder.»
Das hörte sich irgendwie schön an, dachte ich. Zu schön
…
«Vielleicht wollte er auch nur seine Arzthelferin abholen?» Elisa hatte sich unbemerkt zu uns gesellt und versprühte Skepsis.
«Völliger Schwachsinn», gab Mashavna zurück. «Erstens war die Tussi schon lange weg, und zweitens hatte er mit ihr doch erst viel später am Abend eine Verabredung. Wenn das überhaupt stimmt.» Mashavna legte die Stirn in Falten. «Nein, der war definitiv wegen Nella hier.»
Schweigend starrte ich auf die Tischplatte. Vor meinem geistigen Auge sah ich Paul – untermalt von dem Song
It Must Have Been Love
von Roxette – mit traurigen Nutella-Augen durch die Fensterscheibe blicken und nach mir suchen. Was für eine romantische Vorstellung
…
«Typisch Mann», ereiferte sich Elisa und brachte meine Träume jäh zum Platzen. «Der glaubt wahrscheinlich, die Sache würde sich von selbst erledigen. Feigling.»
Ich versuchte, den schmalzigen Roxette-Song aus meinem Hirn zu verbannen. «Wenn es tatsächlich Paul war, der hier ins Fenster gestarrt hat, dann vermutlich nur deshalb, weil er sich die 1379 Schweizer Franken für das Kleid zurückholen will. Und das Geld für die Schuhe», seufzte ich. «Alles andere ergibt keinen Sinn. Ich meine, er hatte ja noch diese Negligé-Verabredung. Er würde wohl kaum erst hier auflaufen und sich dann zwei Stunden später mit seinem privaten Haifisch auf der Couch amüsieren.»
Oder etwa doch? Paul war alles zuzutrauen.
Der Roxette-Song in meinem Hirn erstarb, stattdessen hörte ich nun Marilyn Manson kreischen.
«Mensch, Nella, jetzt überlegt doch mal.» Mashavna ließ sich offenbar nicht von ihrer Romantikwelle abbringen. «Wenn Paul diese Birte so toll finden würde, dann wäre sie doch die perfekte Scheinfrau für seine Genf-Reise gewesen. Aber er wollte sie ja ganz offensichtlich nicht dabeihaben.»
«Ja, und ich kann dir auch sagen, warum», erwiderte ich. «Weil sie nämlich verheiratet ist und komplett damit beschäftigt war, ihren Mann beim Geldverstecken zu beschatten.» Es machte einfach keinen Sinn, sich das Ganze schönzureden. «Im Grunde genommen sind die beiden doch ein Traumpaar: Geld, Geld und nochmals Geld. Alles dreht sich nur um die Finanzen. Paul muss keine Angst haben, dass Birte mit seiner Kreditkarte auf die schiefe Bahn gerät, und Birte kann sich hunderttausend Negligés kaufen, in denen sie sich und ihn darüber hinwegtröstet, dass sie eigentlich ein Haifisch ist.»
Bei dem Gedanken an die Negligé-Nummer wurde mir schlecht.
«Also, was hat mich das Ding da …» Ich deutete wütend auf den Teebeutel. «… jetzt näher an eine Lösung gebracht?»
Mashavna versenkte das Teil in ihrer Tasse. «Na ja», meinte sie philosophisch, «manchmal braucht es eben ein bisschen Zeit, bis man die wahre Bedeutung versteht.»
12 Uhr 39 . Habe wahre Bedeutung noch nicht erkannt. Will den Tatsachen auch gar nicht ins Auge sehen. Lieber möchte ich mir die Szene mit dem Roxette-Song nochmal ausmalen und ein bisschen träumen
…
12 Uhr 43 . Warum nur hat Paul die Stelle in der Schweiz nicht angenommen? Hat Professor Schümli am Ende doch etwas gemerkt? Hat er das Fax an Pauls Vater geschickt? Stand dort möglicherweise geschrieben:
Pfeifen Sie Ihren Sohn zurück, oder ich lasse ihn verhaften
…
Besorgen Sie Ihrem Sohn eine Ehefrau, dann kann er sich nächstes Jahr noch einmal bei mir bewerben
…
Ich habe Ihre ganze Sippe wegen Landesverrat angezeigt …?
12 Uhr 50 . Bin sehr unglücklich, wie alles gelaufen ist. So viel Pech kann ein einzelner Mensch doch
Weitere Kostenlose Bücher