Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
Verlegenheit zu bringen. Als wäre ihr Auftritt beim Essen und dieser ganze Schneller-höher-weiter-Wettkampf nicht schon intrigant genug gewesen, torpedierte sie nun auch noch meinen letzten Rest Seriosität ins All.
«Also wenn Sie mich fragen», quäkte die Kuh, ohne gefragt worden zu sein, «ist der Mann dort drüben die Ursache für dieses Theater.» Sie deutete auf Nellas Leo, der in diesem Moment seiner Begleitung die Hand unter den Rock schob.
Meine Körpertemperatur hatte sich bereits einem für den menschlichen Organismus lebensbedrohlichen Wert genähert. Noch fünf Grad mehr, und mir würde die Galle überkochen.
Was bildete sich diese Tussi in ihrem hässlichen braun-weiß getupften Kleid, das aussah, als hätte sie es im Fanshop vom FC St. Pauli erstanden, nur ein? Wollte sie tatsächlich den Wettbewerb zwischen mir und ihrem Mann auf einem Nebenkriegsschauplatz austragen? Nicht mit mir!
«Psssst!», fauchte ich deshalb erbost in ihre Richtung, wurde aber von Frau Schümli daran gehindert, noch etwas Unflätiges hinterherzuschieben.
«Was kündigt sich denn nun an, Dr. Rosen?», wollte dummerweise auch die Frau meines zukünftigen Chefs jetzt wissen. «Vielleicht können wir da schon vorgreifen?»
Das hielt ich für unwahrscheinlich. Trotzdem sah ich Frau Schümli einen Moment dankbar an. Immerhin hatte sie mich davor bewahrt, eine verbale Schlammschlacht mit der Getupften zu eröffnen. Dummerweise dauerte dieser Moment der Dankbarkeit einen Tick zu lange, denn als hätte sie nur darauf gewartet, dass mich eine der Damen ablenkt, nutzte Nella meine Unaufmerksamkeit zu ihrem Vorteil. Sie befreite sich aus meinem Griff, beugte sich vor und grapschte gierig nach meinem Cocktailglas. Ohne zu schlucken, kippte sie sich den Inhalt in den Hals. Dann nahm sie die beiden Holzspieße, die jeweils mit einer halben Ananasscheibe und zwei Kirschen bestückt waren, schnippte die Früchte auf den Fußboden und sprang wie elektrisiert auf. Mir schwante Fürchterliches.
Gerade noch rechtzeitig, bevor Nella fuchsteufelswild und mit erhobenen Spießen den Tresen stürmen und ihrem Leo den Garaus machen konnte, erwischte ich sie am Arm. Jetzt nur die Ruhe bewahren, sagte ich mir. Das hier geht vorbei. Einfach so tun, als sei alles völlig normal.
Kein leichtes Unterfangen. In diesem Moment drehte sich nämlich der Leo-Idiot um und sah in unsere Richtung. Und plötzlich ging alles sehr schnell.
Nella ließ die Hand mit den Spießen sinken, drehte sich zu mir, und als ich schon befürchtete, sie würde nun ersatzweise mir das Holz in die Lenden jagen, nahm sie meinen Kopf in beide Hände und küsste mich.
Ja, Nella Johannsen küsste mich. Wild und leidenschaftlich. Als würde niemand zusehen, als wäre es das Normalste auf der Welt und als habe sie nicht erst vor zehn Sekunden zwei Holzspieße gegen einen Mitmenschen erheben wollen. Aber vor allem: als wäre sie eine Verhungernde, die den letzten Rest nahrhafter Flüssigkeit aus mir herauslutschen wollte. Ganz offensichtlich beabsichtigte Nella, möglichst lange und ohne zwischendurch Luft zu holen, mit mir zu verschmelzen.
Regungslos ließ ich es über mich ergehen, wohl wissend, dass uns vier Augenpaare, von denen eines meinem zukünftigen Chef gehörte, mit unverhohlener Neugier anstarrten.
Wirre Gedanken schossen mir durch den Kopf:
Scheiße! Den Job kann ich knicken.
Na ja
…
so ein leidenschaftlicher Kuss – der hat schon was.
Ich muss jetzt hier möglichst weltmännisch die Kurve kriegen. Nur wie?
Wichtig war vor allem, Professor Schümli zu demonstrieren, dass ich die Sache durchaus im Griff hatte. Auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht nicht den Eindruck machte, da meine Frau möglicherweise ein kleines bisschen verrückt wirkte. Außerdem wollte ich ihn wissenlassen, dass das Theater hier natürlich nichts mit meinen Qualitäten als Arzt zu tun hat.
«Hormonelle Kurzschlusshandlung», nuschelte ich deshalb, so gut es ging, in die Runde und konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Professor Schümli verständnisvoll nickte.
Anschließend versuchte ich vorsichtig, mich von Nella zu lösen. Gar nicht so einfach, da sie sich inzwischen richtiggehend an mir festgesaugt hatte. Also, falls sie ihren Leoliebling auf diese Art küsst, dachte ich mir, kann ich es durchaus nachvollziehen, dass der mal etwas anderes probieren will.
Ich drehte unsere immer noch vakuumartig miteinander verschmolzenen Körper um zwanzig Grad nach rechts und sah, wie
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