Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
im Anschluss noch einen Massagetermin.»
Unsicher blickte ich zu Professor Schümli. Er stand immer noch zum Fenster gewandt und rührte sich nicht. Falls dies ein Test sein sollte, würde ich mich eines Tages für die Schmach, die er mir zugefügt hatte, rächen. So viel war mir in diesem Moment klar.
Nicht ganz so klar war mir hingegen, was ich jetzt machen sollte. Wollte Schümli prüfen, ob ich seine Patientin, also seine Stammkundin, weiterhin bestimmende Königin sein lassen würde? Oder erwartete er, dass ich mich starr an die Vorschriften klammerte? Ich war mir nicht sicher. Und vor allem ein Gedanke ließ mir keine Ruhe: Im unwahrscheinlichen Fall, dass etwas schiefgehen würde, müsste ich möglicherweise den Rest meines Lebens dafür bezahlen, dass diese Frau glaubte, mit der falschen Oberlippe geboren worden zu sein. Auf keinen Fall wollte ich eine Stelle antreten, nur um mit meinem Gehalt die Folgen eines Kunstfehlers abzustottern.
«Nein», sagte ich deshalb freundlich, aber bestimmt. «Wir können erst loslegen, wenn Sie mir das hier
…
» Ich legte die Unterlagen in ihren Schoß. «
…
unterschrieben haben.»
Frau Steiner guckte mich an, als hätte ich von ihr verlangt, mir mal kurz den Schritt zu massieren. Aber ich hielt ihrem Blick stand. Ohne Unterschrift keine neue Oberlippe.
Einen Moment starrten wir uns schweigend an, dann nahm sie die Formulare augenrollend an sich und kramte einen Kuli aus ihrer Handtasche. Zielstrebig blätterte sie zur letzten Seite, setzte einen krakeligen Haken auf die vorgesehene Linie und drückte mir die Papiere wieder in die Hand. «Sie haben fünfundzwanzig Minuten.»
Na bitte, geht doch, dachte ich und griff mir erleichtert eine der eingeschweißten Spezialnadeln. Eine Neuheit auf dem Gebiet der Faltenunterspritzungen. Die Nadel hat eine abgerundete Spitze, mit der sie ins Gewebe eindringt, ohne es zu verletzten. Mit geübten Handgriffen desinfizierte ich das Gesicht meiner Patientin, packte die Kanüle aus und legte los.
Die Steiner gab keinen Mucks von sich. Sie war ein echter Profi und wusste, was sie erwartet. Viele andere Patienten sind nicht so tapfer, oder es ist ihr erstes Mal, und sie sind nervös. Dann geben sie schon mal ein überraschtes «Au!» von sich. Verständlich, denn die Einstiche – je nach dem, an welcher Stelle sie erfolgen – können manchmal wie kleine Elektroschocks piksen.
Irgendwann meldete sich Professor Schümli wieder zu Wort: «Sagen Sie mal, Dr. Rosen.» Er sah immer noch aus dem Fenster. «Icchh habe da mal eine Frage.»
«Ja bitte?» Hatte ich mich getäuscht, oder war ihm dieses Mal keine Verunglimpfung meines Namens über die Lippen gekommen? Ich setzte die Spritze an anderer Stelle an.
«Sind Sie zufällig verwandt mit Günter Rosen?»
Ich zuckte zusammen. Nur ganz kurz, aber es reichte, damit mir die Kanüle ein wenig zu tief ins Gewebe rutschte. Frau Steiner fuhr auf.
«Au!», machte sie, und ich hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Wusste sie denn nicht, was für mich auf dem Spiel stand?
«Entschuldigung», knurrte ich und zog die Kanüle vorsichtig heraus, um das Gel zu verteilen.
Schöner Mist. Was hatte Schümli sich nur bei dieser Frage gedacht? Wollte er mich aus dem Konzept bringen? Das war ihm gelungen. Aber ich konnte mir hier nicht den leisesten Fehler erlauben, schließlich saß nebenan jemand, der nur darauf wartete, mich zu übertrumpfen.
Ich riss mich zusammen. «Falls Sie Dr. Günter Rosen meinen – ja, er ist mein Vater.»
Mit einer neuen Nadel setzte ich an anderer Stelle wieder an. Während ich der Patientin das Gel injizierte, starrte ich entsetzt auf ihre Wange. Offenbar hatte ich ein Gefäß verletzt, denn ein kleiner Bluterguss breitete sich aus und hinterließ einen unschönen bläulichen Fleck in ihrem Gesicht.
Scheiße! Ich war stinksauer. Hatte mein Vater es sogar hier, tausend Kilometer von zu Hause entfernt, geschafft, mir die Karriere zu versauen?
«Warum fragen Sie?», erkundigte ich mich bei Schümli. Jetzt wollte ich natürlich wissen, wieso mein alter Herr plötzlich Thema war.
«Accch», sagte der Professor lapidar und drehte sich zu uns um, «nicccht weiter wiccchtig.» Er ging zu der kleinen Sitzgruppe und ließ sich in einen Sessel plumpsen. «Könnte sein, dass iccch ihn kenne.»
Na großartig. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Waren die beiden am Ende Schulfreunde? Dann wäre es vermutlich besser gewesen, ich hätte meinen Vater verleugnet.
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