Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
«Sie wollen sich doch nicht etwa von nun an komplett zurückziehen, oder?» Eine Augenbraue hob sich fragend, und ich war erstaunt zu sehen, dass ihr diese Bewegung noch möglich war.
Schümli fühlte sich sichtlich geschmeichelt. «Na ja, einer muss siccch natürliccch um die organisatorischen Dinge kümmern. Außerdem werde iccch die Chirurgie leiten. Aber Ihnen, meine Liebe, stehe iccch natürliccch jederzeit als Arzt zur Verfügung. Obwohl Sie bei Dr. Rosenkohl in guten Händen sind.» Er drehte sich wieder in meine Richtung und drückte mir die schlaffe Hand von Frau Steiner an die Brust. «Er hat die Methode mit der stumpfen Kanüle, von der Sie sicccher schon gehört haben, perfektioniert. Außerdem ist er ein Virtuose an der Botox-Nadel.»
Die Steiner nickte nur. Und während ich noch über die Bedeutung der Worte
Rosenkohl
und
Wir beabsichtigen eine Partnerschaft in meiner City-Klinik einzugehen
nachdachte, entglitt mir ihr schlaffes Händchen.
«Also dann
…
», stotterte ich ungewohnt nervös, «was kann ich für Sie tun, Frau Steiner?»
Die Patientin kramte in ihrer Handtasche und reichte mir anschließend zwei ausgerissene Fotos aus einem Hochglanzmagazin. «Hier», sagte sie mit Nachdruck, «das können Sie für mich tun.»
Ich nahm die Bilder entgegen und warf einen schnellen Blick darauf. Ein Foto zeigte Cate Blanchett, das andere Heike Makatsch. Als sei es ein Bestellformular für menschliche Ersatzteile, hatte Frau Steiner mit dickem schwarzem Edding angestrichen, was sie gerne hätte: die Wangenpartie von Cate, die Lippen der Makatsch. Nichts Ungewöhnliches also. Auch in Deutschland polstert man sich Blanchett-mäßig die Wangen auf, und der Makatsch’sche Mund wird ebenfalls gern kopiert. Dass er allerdings bis in die Schweiz bekannt ist, war mir neu.
Als ich mir anschließend die Karteikarte der Steiner ansah, flatterte mir ein weiterer Stapel Fotos entgegen. Diverse Promi-Gesichter waren hier abgelegt, die auch mir im Laufe meiner Karriere schon mehrere Male als Vorbild vor die Nase gehalten worden waren. Allesamt detailverliebt mit schwarzen Kreuzchen und Kreisen versehen. Die Bilder erklärten, an wen mich die Patientin erinnerte: Sie war eine professionelle Mischung verschiedener Promi-Gesichter. Neugierig blätterte ich in den Aufzeichnungen. Ich erfuhr, dass Frau Steiner nicht achtundzwanzig, sondern achtunddreißig war und sich letztes Jahr die Nase von Sienna Miller hatte nachbauen lassen. Nach kurzer Suche im Stapel der Prominenten stieß ich dann auf die Vorlagen für weitere andere Körperteile. Außer dem der Miller fand ich noch Fotos von Jennifer Aniston, Paris Hilton und Mariah Carey.
Oh mein Gott, dachte ich, wer will denn nur freiwillig aussehen wie Mariah Carey? Schnell schob ich das Bild von Paris Hilton drüber, die vermutlich für die Ohrenpartie der Steiner Patin gestanden hatte.
«Dr. Rosen?» Wie zum Beweis ihrer nervengiftfreien Stirn hob Frau Steiner nun fragend die andere Augenbraue. Als sie sich meiner Aufmerksamkeit sicher fühlte, fuhr sie fort: «An dieser Stelle bitte etwas symmetrischer.» Ein spitzer Fingernagel kratzte auf Heike Makatschs Oberlippe herum.
«Kein Problem», gab ich gelassen zurück, auch wenn mir nicht klar war, was die Steiner an dieser Lippe auszusetzen hatte. Vermutlich hatte sie das Bild zu Hause unter einer Lupe vermessen. Für das bloße Auge gab es daran nämlich nichts zu mäkeln.
Plötzlich musste ich an Nella denken. Auch sie legt ja großen Wert auf ihr Aussehen, das hatte ich bereits durch diverse Strumpfhosendiskussionen erfahren. Und mit dem Älterwerden haderte sie ganz offensichtlich ebenfalls. Denn obwohl sie meinen Schätzungen nach vermutlich noch keine dreißig war, verstopfte sie mit einer Armada von Cremetiegeln unser Hotelbadezimmer.
Verrückt. Ich meine, ich könnte auf Anhieb Hunderte von weiblichen Eigenschaften nennen, die auf ein gesundes Maß an Intelligenz oder Scharfsinn schließen lassen, aber wenn es um Anti-Falten-Cremes geht, setzt bei Frauen die Hirnfunktion aus. Nella ist da keine Ausnahme. Vermutlich weiß sie haargenau, wo und wann man etwas zum Schnäppchenpreis bekommt, kann mit verbundenen Augen drei identisch aussehende rote Nagellacke unterscheiden und ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass neunzig Prozent der abgedruckten Promi-Fotos nachbearbeitet sind. Aber trotzdem kauft sie Cremes, deren vermeintliche Wirkungen man an einem einzigen Tag gar nicht zu Ende aussprechen kann:
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