Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
Sooofort!»
Wie auf ein geheimes Stichwort erwachte daraufhin Raoul zum Leben. Doch anstatt die Polizei zu rufen und Leo für den Rest des Abends in die Ausnüchterungszelle verfrachten zu lassen, informierte er lediglich die Schümlis, dass wir uns verspäten würden.
Wo gibt es denn so etwas? Diese Schweizer scheinen mir vom vielen Käse- und Schokoladeessen schon ganz träge geworden zu sein. Anders konnte ich mir jedenfalls nicht erklären, dass Raoul sich nach seinem Telefonat wieder genüsslich im Sitz zurücklehnte und mit seinem Taschentuch verträumt die Innenarmaturen des Autos blank putzte.
«Was geht denn da draußen vor sich?», wollte die Hartmann plötzlich wissen, und ich war fast dankbar, dass mal einer ein bisschen Anteil am Schicksal der Streithähne nahm. Angewidert kräuselte sie ihre Nase. «Was machen die nur?»
Was glaubte sie wohl? Dass die beiden Männer mitten auf der Straße gerade dabei waren, ein gemeinsames Hobby zu entdecken?
Ich konnte und wollte ihr aber keine Auskunft geben. Mein Bedürfnis, die Sachlage näher zu erklären, war etwa genauso groß, wie mit ihr überhaupt in diesem Wagen zu sitzen. Außerdem wusste ich genau genommen ja selbst nicht, was in Leo gefahren war.
«Ist das nicht der Kerl von gestern Abend?», fragte sie dann. «Der aus der Bar?»
Mir blieb die Antwort erspart, da es draußen vor dem Auto gerade wieder laut wurde.
«Lassmich sofort zsuu Nella, sons machich dich platt!», drohte Leo und stemmte die Arme in die Hüften.
Paul sah immer noch überraschend gelassen aus. «Was hast du gesagt?», fragte er betont höflich.
«Dassss ich dir aufas Maul hau, wennu keinen Platz machssst.»
Paul schüttelte resigniert den Kopf. Langsam wurde er wütend. Und statt Leo durchzulassen, nahm er nun die Klitschko-Pose ein: hüftbreit aufgestellte Beine, erhobene Fäuste, drohender Blick.
Plötzlich wurde mir klar, warum Männer den Samstagabend lieber vor dem Fernseher verbringen, als mit ihrer Liebsten auszugehen: Sie schauen sich die Heldenposen ab. Von Podolskis Bananenflanke bis zum Pokerface von Daniel Craig wird alles genauestens für den Ernstfall einstudiert. Also, Paul hatte seine Sache jedenfalls gut gemacht. Er sah auf lässige Weise gemeingefährlich aus.
Leos Fernsehvorbild schien mir dagegen ungünstig gewählt. Er wirkte wie eine Mischung aus Campino von den
Toten Hosen
und Harald Juhnke, als er sich auf den Wagen zubewegte. «Nella!», brüllte er mit rauer Rockstar-Stimme. «Sag mir sofoot die Wahrheit! Hattesssu wirklich noch nie einen Orgasssmus?»
Ich kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass dies einer der peinlichsten Momente meines Lebens war. Megapeinlich. Ich tat deshalb einfach, als hätte ich nichts gehört.
Aber es half nichts. Frau Hartmann hatte nicht vor, diese Entgleisung unkommentiert zu lassen.
«Du liebe Güte, Frau Rosen!», stammelte sie, und für einen Augenblick hatte es den Anschein, als wolle sie hinzufügen: Sie haben auch Orgasmusschwierigkeiten? Da könnte ich Ihnen meinen Therapeuten empfehlen. Doch zum Glück kam nichts dergleichen.
Stattdessen drehte sich Dr. Hartmann vom Beifahrersitz zu mir um. «In was ist Ihr Mann denn da bloß hineingeraten?» Er verzog das Gesicht. «Na, das ist ja eigentlich kein Wunder. Bei einem Hotel in dieser Lage.»
Ich hätte ihn umbringen können. Statt durch beherztes Eingreifen Zivilcourage zu beweisen, blieb der Vollpfosten gemütlich auf seinem Streberhintern sitzen und kommentierte das Ganze auch noch abfällig. Ob er vielleicht Schweizer Vorfahren hatte? Also, wegen der Gemütlichkeit, meine ich.
Mir wurde jedenfalls in dem Moment klar, dass Leute wie er der Grund dafür sind, dass heutzutage extra Werbekampagnen geschaltet werden müssen, um Menschen zu motivieren, sich um ihre Mitbürger zu kümmern. Eventuell sollten die Werbeagenturen auch mal ein paar Anzeigen im Ärzteblatt veröffentlichen.
Draußen packte Leo jetzt Paul am Revers. «Lassss mich hia durch, du Idiot», lallte er. «Ichwill zsu meina Nella! Neeelllaaaaamaaaauuuus!» Und dann passierte das Unglaubliche: Leo holte aus und platzierte einen Fausthieb auf Pauls Nase. Wums!
Doch Paul-Wladimir-Rosen schlug zurück. Nochmal wums! Genau wie im Film, dachte ich, ein total fieses Geräusch.
«Um Himmels willen!», ächzte Frau Hartmann. «Wer ist der Kerl, und was will er von Ihnen?»
Mir wurde langsam klar, dass ich um eine Antwort nicht mehr lange herumkommen würde. Daher beschloss ich, gleich mit der
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