Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
Finale.
«Sagen Sie mal, Dr. Rosen, was ich Sie schon den ganzen Tag fragen wollte: Kennen Sie eigentlich eine Familie Morgenroth?»
Bitte?
Fast wäre mir der Stapel Papiere aus der Hand gerutscht, den Schümli mir in dieser Sekunde überreicht. Habe ich richtig gehört? Familie Morgenroth? Sind Birte und ihr Mann etwa so internationale Größen wie die Flodders? Oder die Osbournes? Woher sonst sollte ausgerechnet Spießerkönig Hartmann den Erpresser mit dem Oberlippenbart kennen? Und was weiß er sonst noch über mich? Hat Nella in ihrer Wut etwa noch geplaudert, bevor sie abreiste? Dann ergäbe das unbändige Engagement des Nebenbuhlers, mich in die Enge zu drängen, zumindest einen Sinn.
Nein, so schätze ich Nella nicht ein. Sie mochte die Hartmanns genau so wenig wie ich. Sie würde dann lieber gleich bei den Schümlis petzen. Außerdem wäre Dr. Hartmann gar nicht schlau genug, so ein Spielchen mit mir zu spielen. Auch er würde brisante Informationen über mich mit Sicherheit sofort an Schümli weitertragen. Nein, es muss eine andere Erklärung geben.
Dr. Hartmann, der es sichtlich genießt, mich aus der Fassung gebracht zu haben, lässt sich nun zu einer Erläuterung herab. «Wissen Sie, Dr. Rosen, heute Vormittag stieg ich aus dem Taxi und war im Begriff, den Gebäudekomplex der City-Praxis zu betreten, da wartete unten ein Mann vor der Tür. Er fragte nach Ihnen. Als ich ihm erklärte, dass Sie dazu neigen mit eingeschlagenem Gesicht etwa vierzig Minuten zu spät zu kommen, ließ er Ihnen Folgendes ausrichten:
Ich befinde mich immer einen Schritt vor Ihnen, Dr. Rosen. Denken Sie über mein Angebot nach.
Er lässt Sie noch grüßen.»
Ich bin, gelinde gesagt, empört. Was erlaubt sich Bernd Morgenroth eigentlich? Droht dieser Oberlippenfuzzi mir etwa? Hat er vergessen, was auch für ihn davon abhängt, dass ich sein Spielchen mitspiele? Ich bin zu überrascht, um eine angemessene Reaktion zu zeigen. Nicht so Professor Schümli. Bei dem Wort
Angebot
reißt er fragend beide Augenbrauen in die Höhe.
«Ein Angebot?», erkundigt er sich erstaunt. «Dr. Rosen, Sie werden doccch wohl nicccht mehrere Eisen im Feuer haben?» Während er dem Klugscheißer jetzt ebenfalls einen Stapel Unterlagen überreicht, lässt er mich keine Sekunde aus den Augen.
Ich fühle mich inzwischen wie in einem schlechten Krimi. Einem, in dem ein unvorhersehbares Ereignis das nächste jagt, in dem sich ein Labyrinth voller Missverständnisse auftut und in dem einem die Hauptfigur von Szene zu Szene unsympathischer wird.
Na ja, eine der Hauptfiguren. Denn eigentlich spielt Dr. Hartmann ja nur eine schlechtbesetzte Nebenrolle, deren Part es ist, der Hauptfigur, also mir, das Leben schwerzumachen.
Und jetzt auch noch Schümli!
Ob ich mehrere Eisen im Feuer habe?
Sehr witzig. Das fragt ja genau der Richtige. Immerhin hat
er
mir doch diesen Klugscheißer an die Hacken gehext.
Er
hat aus meinem Einstellungsgespräch einen Wettbewerb gemacht, von dem nie zuvor die Rede war. Keine Ahnung, wie lange ich dieses Theater noch durchstehe.
«Ach was, wo denken Sie hin», gebe ich unwillkürlich zurück, «die
Swiss Medical Clinic
ist selbstverständlich meine erste und einzige Wahl.»
Schümli lächelt schief. Genauer gesagt grinst er eigentlich. Ganz genau gesagt sieht er irgendwie schadenfroh aus.
Ob Nella ihm doch etwas verraten hat?
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20. Nella
Montagvormittag
10 Uhr 12 . «Lieber Herr Dr. Rosen, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn Paul ein notorischer Lügner und Fremdgänger ist. Möglicherweise leidet er auch an Polygamie. Nein – sagen Sie jetzt nichts. Am besten, Sie weisen Paul noch diese Woche in eine Rehabilitationsklinik für Sexsüchtige ein. Dort wird man schon wissen, was zu tun ist. So wie ich die Sache sehe, ist es allerdings wahrscheinlicher, dass Karl Lagerfeld noch in diesem Leben seinen Sprachfehler in den Griff bekommt, als dass aus Paul jemals ein normal denkender und fühlender Mensch wird.»
Hm
…
Soll ich das wirklich so sagen? Was, wenn Dr. Rosen Modezar Karl Lagerfeld gar nicht kennt und somit auch nichts von dessen lispelnder Aussprache weiß? Dann kann er sich eventuell kein konkretes Bild davon machen, wie schlecht es um seinen Sohn bestellt ist.
Ich sollte vielleicht doch anders anfangen. Eventuell so:
«Dr. Rosen, ich weiß, dass Sie in diesen Tagen viel zu tun haben, da Ihr Sohn Paul (Seufzer!) Ihnen nicht helfend zur Seite stehen kann. Deshalb
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