Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
kniff ein paarmal die Augen zu. Pyjama. Klamotten am falschen – nun ja, am richtigen – Ort. Ich schüttelte mein Kissen auf und erstarrte. Schimmernd im Mondlicht, das durchs Fenster hereinfiel, lag da ein Revolver.
Kein Traum. Ich strich über den weichen Ärmel des Schlafanzugs und rollte mich verstört unter der Decke zusammen. Was sollte ich nun tun? Vielleicht ließ sich die ganze Gefahr ja irgendwie wegträumen …
8
D ummerweise verbündeten sich alle meine Albträume gegen mich. Das ging los mit der Geschichte, die mir Pietr über den Mord an seinem Vater erzählt hatte. Er schilderte mir behutsam mit bestenfalls einer Andeutung eines schnarrenden russischen Akzents die Nacht, die sein Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte. Seine Worte durchströmten zusammen mit der offiziellen Berichterstattung über die Geisterwölfe von Farthington mein schlafendes Gehirn. Und meine rege Einbildungskraft – eine Gabe von zweifelhaftem Nutzen – füllte die anderen Lücken.
Ich druchlebte, was Pietr, Cat und Alexi in jener Nacht nicht hatten sehen können, und alles unter dem verschwommenen Deckmantel eines Traums. Ich stand im Schatten verborgen und sah, wie der Nachbar nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt, sah, wie sich seine Züge aufhellten, als die Waffe aufschimmerte. Und als Andrei stürzte, erhob sich ein Knurren in meiner Kehle, voller Entsetzen und dem Wunsch, ihn zu beschützen, wie es Tatiana empfunden haben musste.
Die rote Wölfin sprang auf und wurde sofort niedergestreckt. Sie schlug auf dem Boden auf und augenblicklich fuhr ein großer Geländewagen heran, in den die beiden Wölfe verladen wurden.
» Nein « , stöhnte ich. So stand das nicht in den Zeitungsberichten. Der Wagen schlitterte davon, ich konnte nicht mehr klar sehen, das Bild änderte sich und nun stand ich unter dem blühenden Hartriegelbaum gleich neben Skipper’s. Moms Wagen kam herangefahren, da schoss Sarah mit dem Geländewagen auf den Parkplatz, knallte gegen Moms Limousine, die in Feuer aufging. Schluchzend stürzte ich hin, aber ich konnte sie nicht herausholen. Der Albtraum geriet ins Stocken, und dann stand ich neben dem Geländewagen der CIA , von allen Seiten feuerte die Mafia, und Wanda packte mich am Arm, zog mich zu Boden und ich schrie meine Verzweiflung heraus.
Dann war ein Aufprall zu hören – Fluchen, lautes Rufen –, und ich setzte mich auf, atemlos keuchend und schweißgebadet. Wieder das Pochen.
» Jessie! Jessie! «
Wo …? Ich sprang auf. Ich war in meinem eigenen Zimmer. Ich stürzte zur Tür, stolperte, weil sich meine Füße in den Decken verhedderten. » Dad! Dad! Was ist los? «
Das Rufen verstummte. Jemand rüttelte an der Tür. Ich schloss sie auf und Dad kam mit sorgenvollem Gesicht hereingestürzt. Er packte mich an den Schultern und starrte mich an. » Jessie, alles okay? «
Auf dem Flur stand Annabelle Lee und rieb sich die Augen.
» Ja, Dad … «
» Du hast geschrien « , flüsterte er. » Du hast noch nie … «
» Ich hab noch nie im Schlaf geschrien. « Ich kniff die Augen zu, weil Dad die Lampe angeknipst hatte.
Annabelle Lee sog hörbar die Luft ein. Sie schlug die Hand vor den Mund und starrte mich ungläubig an.
» Was zum Teufel …? « , rief Dad so laut, dass ich die Augen wieder aufriss. Ganz vorsichtig streckte er die Hand aus und strich mir mit zitternden Fingern das Haar aus der Stirn.
» Was ist denn? « , flüsterte ich. Ich fasste an die Stelle, die er anstarrte und zuckte zusammen – da war eine schmerzhafte Prellung. Ich musste schlucken, denn nun erinnerte ich mich, wie mich der große Mann in der Kirche niedergeschlagen hatte.
» Wie ist das passiert? «
Mein Hirn lief auf Hochtouren. » Ich … «
» Du warst doch mit diesem Burschen unterwegs, stimmt’s? Diesem Rusakova? « Er spie den Namen förmlich aus, damit ich gar nicht auf die Idee käme, Pietr zu verteidigen oder zu widersprechen. Mein Verstand war zu jählings aus dem Albtraum ins grelle Licht gerissen worden und arbeitete nur zäh. Ich rang nach Worten, nach einer Erklärung …
Ich hatte nur einen Moment gezögert. Mehr war nicht nötig.
» Er hat dich geschlagen « , konstatierte mein Vater. Ich schüttelte den Kopf und stammelte, das stimme nicht, aber er hatte die Sache schon entschieden. Pietr war Russe. Er und die Mafia hatten dieselben Wurzeln. Also musste er gewalttätig sein. Seine rechte Hand ballte sich zur Faust. » Ich werde … «
» Nein, Dad … Nein! « Ich
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