Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
gewesen.
Innen sprach jemand, während etwas hämmerte, und zwar gegen … eine Wand? Eine Tür? Die Falltür zum Keller.
Immer wieder donnerte es.
Mein Herz pochte fast im selben Takt gegen meinen Brustkorb. Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand und versuchte, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Da waren die Stimmen von zwei Menschen zu hören, vielleicht auch mehr.
Und ich hatte nicht das Training, um auch nur mit einem fertig zu werden.
Welche Möglichkeiten blieben mir da? Ich dachte an damals, als ich hier zur Kirche und Sonntagsschule hergekommen war. Hatten sich die alten Damen nicht noch über etwas anderes beklagt?
In einem besonders verregneten Sommer war dort unten Wasser eingedrungen und hatte kurz vor dem Kirchenfest die Etiketten der Chowchow-Gläser ruiniert. Wo nur …? Ich kroch den kleinen Abhang hinunter und suchte nach der Öffnung, wo das Wasser eingedrungen sein musste.
» Ah! « Ich kauerte neben einem kleinen – einem winzigen – Fenster, das sich praktisch auf Bodenniveau befand. Drinnen fauchten und schnappten die Wölfe, jagten die wacklige Stiege hinauf und warfen sich gegen die Falltür.
Nach kurzem Zögern klopfte ich leise an das Fenster, das in der Backsteingrundmauer eingelassen war.
Innen wurde es augenblicklich still. Dann ging das Pochen gegen die Falltür wieder los und quietschend schwang das Fensterchen auf. Cats Gesicht hob sich gespenstisch vor dem Dunkel ab. » Jessie! Harascho. Das warrr eine Falle « , knurrte sie, und ihre makellos strahlende Zahnreihe wuchs zu messerscharfen Spitzen.
Ich wies sie nicht extra darauf hin, dass es eigentlich Pietrs Aufgabe war, das Offensichtliche auszusprechen.
» Sie hatten … « , für einen Augenblick brachte sie kein Wort heraus, dann schüttelte sie sich, die Zähne wurden wieder stumpf und die nachtblauen Augen liefen scharlachrot an, während sie sich konzentrierte, » … ein Fell, das uns glauben ließ, wir seien auf der richtigen Fährte. «
» Ein Fell? «
» Das unseres Vaters. «
Mir drehte sich der Magen um und ich musste an die Männer in der Kirche denken. » Wie viele sind dort? «
» Zwei. «
» Lenkt sie ab. Sorgt dafür, dass sie bei der Falltür bleiben, damit ich mich hineinschleichen kann. «
» Hol Alexi « , schlug Cat vor.
» Dazu haben wir keine Zeit. Sie werden euch nicht hier behalten. Sie werden euch noch vor dem Morgengrauen wegschaffen wollen. «
» Was willst du tun? «
» Passt einfach auf, dass ihr euch nicht in noch mehr Schwierigkeiten bringt. Ich komme dann von oben rein. «
» Wir werde sie beschäftigen « , versprach sie.
Das Fenster schwang wieder zu und in der neuerlichen Stille bog ich um die nächste Ecke zur Tür zur Sakristei.
Der alte verzierte Türknauf quietschte, als ich ihn ausprobierte. Also wartete ich ab, bis das Ablenkungsmanöver begann, und rief mir den Raum in Erinnerung. Die Tür war meist unverschlossen gewesen, bis der Messdiener eines Tages fast über den Diakon stolperte, der an der Wand zusammengesunken war – alle kleinen mit Wein gefüllten Abendmahlkelche waren leer.
Mom sagte damals, das sei kein Wunder bei den vielen Leuten, die sich bloß zum Abendmahl und den Feiertagen in der Kirche blicken ließen. Kirchgänger seien diese Leute nicht, die » bezahlten nur die Feuerversicherung « , wie sie es ausdrückte. Wir dagegen bewiesen unsere Hingabe durch allsonntägliche Anwesenheit. Wer errettet werden wollte, musste auch seine Zeit absitzen. Sie lebte ganz nach dem Grundsatz » Nur was man sich erarbeitet, ist es wert, dass man es hat. « Das galt auch für die himmlische Erlösung.
Ein Getöse aus dem Keller ließ das Gotteshaus erbeben und riss mich aus meinen Gedanken. Ich zog die Tür auf und sauste durch den moderigen Vorraum und den teppichbedeckten Gang zwischen den mit Schnitzwerk verzierten, unbequemen Kirchenbänken entlang.
Im Kirchenschiff ging ich auf Zehenspitzen und schlich bis zur Wendeltreppe. Mit einer Hand am Holzgeländer starrte ich beständig nach unten, hielt nach Hindernissen Ausschau und hoffte, dass diese nicht schon nach mir Ausschau hielten.
Tief unter das Geländer gebückt, das wenigstens etwas Sichtschutz bot, ließ ich mich abwärts gleiten, immer ein Bein nach dem anderen wie ein Fechter, der auf unebenem Boden Ausfallschritte übt. Ich kam langsam voran, drückte mich mit dem Rücken an die Wand, bis ich das Untergeschoss erreichte.
Von den Unterrichtsräumen drang lautes Fluchen herüber. Die
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