Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
Bunte Scherben und schwere Bleifassungen stoben in den Raum, und der Wolf sprang den Mann so schnell an, dass mein Blick kaum folgen konnte.
Es ertönte ein Schuss. Pietr hielt den Arm des Mannes im Maul und schüttelte ihn, wie man einen alten Lumpen ausschüttelt. Der Revolver fiel scheppernd zu Boden. Ich schnappte ihn mir und richtete ihn auf meinen Beinahe-Mörder.
» Pietr! « , schrie ich. » Lass ihn los! «
Aber Pietr, das Ungeheuer, schüttelte ihn nur noch heftiger. Man hörte Gelenke ploppen und Knochen knacken. Der Mann sank zusammen und sein zermalmter Arm steckte noch immer in Pietrs Fängen.
» Pietr! « , kreischte ich. Ich spannte den Hahn des Revolvers und feuerte einen Schuss in die Decke.
Gips und Staub regneten in einem weißen Fleckenmuster auf Gesicht und Schultern des Wolfs herunter. Für die Dauer eines Herzschlags stellte ich mir vor, der Wolf stünde ruhig und still im Schneetreiben.
Er erstarrte und beobachtete, wie ich mich hochrappelte.
» Lass ihn los! « , befahl ich.
Er gehorchte. Widerwillig.
» Wir müssen verschwinden. «
Der Wolf zitterte für einen Moment und wurde zu Pietr, dem Menschen, der vor Anstrengung keuchte, glänzend vor Schweiß und voller Gipsstaub. Er stand vor mir. Nackt.
Ich blickte zur Seite und rieb mir die Augen. Da ich meinen quasi Freund nun schon zum wiederholten Mal nackt sah, war es wohl an der Zeit, dass mal wieder jemand in die Kirche ging – zum Beichten. » Wir müssen los « , sagte ich noch einmal.
Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte mich Pietr schon zum Fenster hinausgereicht und auf Max’ pelzigen Rücken fallen lassen. Dann sprang er hinterher, schon wieder in sein warmes Fell gekleidet.
Ich warf noch einen Blick zurück auf das Loch, das dort in der Grundmauer klaffte, wo das kleine Fenster gewesen war. Rings herum waren Ziegelsteine herausgerissen wie lockere Zähne aus einem staubigen Gebiss. » Hättet ihr da nicht früher draufkommen können? «
Wir kamen gerade beim Wagen an, als ein ziviler Geländewagen vor der Kirche hielt: Zwei elegant gekleidete Männer mit Aktenkoffern schritten zum Haupteingang und klopften.
Die Rusakovas – nun wieder in menschlicher Gestalt – schlüpften so behände und mühelos in ihre Kleider, wie ich den Schlüssel aus der Hosentasche zog und in die Wagentür steckte. Ich ließ mich auf die Rückbank sinken, warf Max den Schlüssel zu und rollte mich zusammen.
Cat strich mir übers Haar, und es fühlte sich an, als leckten Flammen an meinem Kopf. Ich schloss die Augen und versuchte, mir keine Gedanken über die Herkunft des dunklen Fells zu machen, das sie im Arm hielt. Wir fuhren los. Ich drückte die Stirn an die Scheibe und hoffte, im Flirren der vorbeihuschenden Autoscheinwerfer und Straßenlaternen etwas von der Anspannung loszuwerden.
Ich döste für einen Moment ein – vielleicht auch länger –, ab und zu unterbrochen von einzelnen Worten und dem Gefühl, dass Augen auf mich gerichtet waren. Rotglühend im einen Moment, furchtsam im nächsten.
» Nie wieder. Wi ponimitju minja «
» Da. Ich habe verstanden « , flüsterte Cat. » Du hattest recht, Pietr. «
» Ich mach das. «
Zur Antwort gemurmelter Widerspruch.
» Njet, Cat. Es reicht schon, dass du sie hier mit reingezogen hast. « Ich hatte das seltsame Gefühl, dass man mich wiegte, anhob und dann über einen Heizkörper legte, in dem eine Uhr rasend schnell tickte. Wind strich über mich, verfing sich in meinem Haar und kühlte mir das Gesicht.
Kurz schlug ich die Augen auf und erhaschte einen Blick auf das Gesicht, das ich beim Aufwachen wie auch in meinen Träumen so sehnlich zu sehen wünschte. Dies markante Kinn, die schiere Kraft seines Halses, seiner Schultern …
Pietr. Wie fest er mich hielt.
Ich drängte mich enger an ihn, achtete nicht auf den eiskalten Wind, sondern nur auf die Uhr, die ihr Leben so schnell abspulte. So wenig Zeit. Das ganze Leben eine unsichere Sache. Jeder Moment zählte.
Mein Fenster schloss sich mit einem leisen Klacken. Sofort saß ich kerzengerade im Bett und starrte perplex um mich.
Ich fröstelte in meinem Pyjama. Was für ein merkwürdiger Traum. Ich kroch unter die Decke. Dort neben dem Wäschekorb lagen sorgfältig aufgestapelt meine Kleider, als erwarteten sie meine Entscheidung, ob ich sie am Morgen für die Arbeit auf der Farm tragen würde.
Wieder schoss ich in die Höhe. Niemals legte ich meine Klamotten so zusammen – das konnte ich mir noch so oft vornehmen. Ich
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