Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben

gedrückt hatte. Dr. Sarissa Jones. Nach ihrem Namen folgte eine Abfolge von Buchstaben, die dem Alphabet Konkurrenz machte und ihre akademisch erbrachten Fähigkeiten unterstrich. Natürlich gab man mir ihre Karte. Kenne ich schon. » Danke. «
    » Zur Sicherheit würde ich erst einmal nichts Scharfes essen « , empfahl sie. » Versuchen Sie’s mit salzigen Crackern und Ingwerlimonade. Halten Sie sich an die einfachen Dinge. «
    » Die einfachen. Genau. « Sie wusste ja gar nicht, wie attraktiv sich einfach für mich anhörte.
    » Und, Miss Gillmansen? « , rief sie mir nach, als ich schon an der Türe war. » Ich werde Sie im Auge behalten. «
    Offenbar wollten mich alle im Auge behalten. Vor dem Zimmer der Schulkrankenschwester standen sie alle in einer Reihe und kümmerten sich nicht um das Gezeter des einsamen Ersatzlehrers, der Gangaufsicht hatte: Sophia, Amy und Marvin, Catherine mit Max – ja sogar Stella Martin blieb auf dem Weg zum Unterricht stehen, musterte mich kurz und dann Max deutlich länger.
    Und natürlich war auch Sarah da. Pietr hatte seine Arme wie eine Decke um sie gewickelt.
    Seine Augen waren zuallererst auf mich gerichtet und auch als erste wieder abgewandt.
    Amy machte sich von Marvin los und kam zu Sophia und Catherine herüber, die sich wie eine Wand vor mir aufgebaut hatten. » Und? « , fragte sie.
    » Magen-Darm. «
    Amy schüttelte den Kopf. » Geht gerade nicht herum. «
    » Hitzschlag « , probierte ich.
    » Wir haben jetzt Herbst in Junction. Du sagst mir jetzt, was Sache ist, oder du hältst die Klappe. «
    Ich spähte kurz über ihre Schulter und sah in Pietrs Augen. Sie leuchteten im kühlsten Blau, das ich je gesehen hatte, und schon wieder wurden meine Knie weich.
    » Also schön! « , blaffte Amy, schnappte Sophia und Cat und marschierte mit ihnen davon, ohne ihnen eine Wahl zu lassen.
    Sarah trat aus Pietrs Schatten und fasste mich am Arm.
    » Ist schon gut. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. «
    Pietrs Blick bohrte sich vorwurfsvoll in meine Stirn, als rufe er mir Lügnerin ins Gesicht. Aber nur, bis er merkte, dass ich ihn bemerkt hatte.
    Plötzlich tauchte ein anderes Gesicht vor mir auf und versperrte die Sicht auf Pietr. Derek. Der Held meiner Träume, bevor die Albträume das Kommando übernommen hatten. Attraktiv , besser gesagt, umwerfend – und ich, nun, das einzig umwerfende an mir war mein Atem. Und das nicht im positiven Sinn.
    » Ich habe gehört, dass du in Ohnmacht gefallen bist. « Er besah mich von oben bis unten, schob sich zwischen Sarah und mich und legte mir den Arm um die Schulter. Mein Rucksack hing über seiner Schulter, neben seinem eigenen. » Sarah, ich übernehme. « Er grinste Pietr herausfordernd an.
    Mir war das egal. Jedenfalls redete ich mir das immer wieder ein, wirr im Kopf, wie ich war, und ließ mich von Derek wegführen.
    Hinter uns meinte eine sehr zufriedene Sarah zu Pietr: » Sie hat schon immer für Derek geschwärmt. «
    Die Tür des Klassenzimmers ging auf, die Krankenschwester blickte meinen Lehrer an und deutete auf mich. Ich zog den Kopf ein und folgte ihr nach draußen. » Ich habe noch ein wenig über Ihre Situation nachgedacht und dann beschlossen, Ihren Vater anzurufen, damit er Sie abholt. «
    » Mir geht’s bestens « , protestierte ich.
    Sie hörte gar nicht hin. » Er war bei der Arbeit, sagte aber, dass eine Freundin der Familie, Wanda, Sie in zwanzig Minuten abholen wird. «
    Ich stöhnte.
    » Holen Sie Ihre Sachen. Sie können auf der Bank vor dem Büro warten, bis der Wagen da ist. «
    Ich gehorchte und schlurfte lustlos von dannen.
    Auf dem Flur kam mir Catherine entgegen, mit einem Toilettenpass in der Hand. Sie runzelte die Stirn. Ich schüttelte den Kopf.
    Ich hatte es mir kaum auf der Bank bequem gemacht, als sie schon wieder vorbeikam.
    » Was soll das? Willst du einen Rekord aufstellen? «
    Sie zuckte mit den Achseln und setzte sich zu mir. » Ich musste eigentlich gar nicht. Ich bin bloß gern am Herumstromern. « Sie spähte auf meinen Rucksack. » Und du machst Schluss für heute? « Sie ließ ihre Schuhe aneinanderklicken, als ich nickte. » Zu Hause ist’s doch am schönsten. «
    » Oh ja. «
    » Tut mir leid, dass mein Bruder so ein Depp ist. « Sie überlegte. » Aber dass du Derek küsst, ist auch nicht gerade hilfreich. «
    » Ich will über keinen von beiden reden. «
    » Hmm. Jessie, ich muss dich was fragen … «
    Die Tür schwang auf und dann stand Wanda auch schon vor uns, mitten im