Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
verbergen konnten, dann hielt ich mich an Rio. Sie hatte sich ihren Spaß auf einem mit Stangen und Wasser gespickten Parcours wahrlich verdient.
Und ich ebenso. Zwischen Pferd und Reiter gab es keine Lügen. Jede ihrer Bewegungen, jedes Muskelzucken verriet eine hintergründige Wahrheit, die ich zu lesen verstand. Ein Springreiten konnte man nur mit guter Kommunikation gewinnen.
Offen und ehrlich.
Als sich Pietr und ich trennten, wuchsen Rio und ich zusammen.
Da war es nur gerecht, wenn sich Rio austobte. Ich wollte, dass sie glücklich war. Und wenn ich siegte?
Noch besser.
Mehrere Reiter meiner Klasse waren schon an der Reihe gewesen, als Georgia Main angekündigt wurde. Ich führte Rio zurück, damit ich zusehen konnte. Die Zeit lief und sie fegte über den Parcours. Ihr Pferd, das ich eine Weile sehr bewundert hatte, ging die Hindernisse sehr flink an und flog anmutig darüber hinweg. Der Lauf war fast makellos und die Zeit ausgezeichnet, aber ich wusste, dass Georgia trotzdem bescheiden bleiben würde. Dass sie auf dem besten Weg war, ein Star zu werden, stieg ihr nicht zu Kopfe.
Wir wurden aufgerufen, ich stieg in den Sattel und ritt zum Turnierplatz. Dort zog ich den Kinnriemen straff und wartete auf das Startsignal. Auf der Tribüne konnte ich Dad und Annabelle Lee entdecken. Annabelle Lee legte eben ihr Buch beiseite.
Aber mir fiel noch etwas ins Auge. Da ich selbst nicht recht in die feine, elegante und zumeist wohlhabende Springreiterszene passte, fielen mir andere, die sich nicht in dieses Raster fügten, umso mehr auf. Und da war nicht nur einer, sondern mehrere Männer. Alle groß und breitschultrig, mit starrer Körperhaltung und strengen Gesichtern, die auf eine harte Vergangenheit schließen ließen.
Offenbar fühlten sie sich hier noch weniger wohl als Jungreiter bei ihrem ersten Wettbewerb. Nicht das normale Publikum. Sie standen zwar nicht beisammen, schienen sich aber untereinander auszutauschen. Ein Blick von einem zum anderen, ein Handy, das nur Augenblicke vor dem nächsten ans Ohr gehoben wurde.
Einer blickte zur Tribüne. Dann zwei. Drei. Dann vier. Und auf einmal starrten sie alle Dad und Annabelle Lee an. Überall in der Menge standen Werwölfe, allerdings nicht gerade von der Sorte, die mein Blut in Wallung brachte – es waren die anderen, die Gezeichneten von der Mafia, sie ließen mir das Blut in den Adern gefrieren.
Mit dem Startzeichen machte Rio einen Satz nach vorn und riss mich aus meiner Angst. Wir waren hier mitten unter Menschen. Vielen Menschen. Dad und Annabelle Lee konnte nichts geschehen. Also konzentrierte ich mich auf das Naheliegende und half Rio, bei ihren Sprüngen richtig zu glänzen.
Sie war ein wunderschönes Tier, zog bei jedem Sprung die Vorhand hoch und eng ein und bog den Hals elegant wie ein Schwan. Die Ohren wandte sie nach vorn und ließ sich durch meine Unruhe nicht beirren.
Nicht der Parcours bereitete mir Sorgen, sondern das, was danach kam. Wenn wir sauber durchkamen, dann mussten wir hinausreiten, Dad und Annabelle Lee alarmieren und hoffen, dass wir beim Truck waren, bevor die Mafia eingriff.
Wenn wir allerdings nicht sauber durchkamen …
Rio zeigte keinerlei Schwäche, obwohl mein Herz gegen den Rhythmus ihrer Hufe schlug. Alle Steilsprünge meisterte sie mühelos. Dann kam ein Hochweitsprung, ihre Hinterhand berührte leicht die Oxerstange und ich ließ es darauf ankommen.
Ich rutschte aus dem Sattel und fiel unter dem Ächzen der Menge zu Boden. Kopf einziehen. Abrollen. Leicht gesagt, aber der Aufprall ging mir durch Mark und Bein – der Rücken knackte, meine Beine verhedderten sich und der Kiefer klapperte. Ich landete mit dem Gesicht voraus auf dem Rasen.
Autsch.
Rio machte kehrt, stupste mich mit der Nase an und schnaubte verblüfft.
Die Sanitäter kamen angerannt, befühlten meinen Nacken, legten mir eine Halskrause um, rollten mich auf eine Trage und hoben mich an.
» Alles okay « , beruhigte ich sie halbwegs.
Rio wurde mit hinausgeführt, ihr Kopf wippte neben mir, und ihre Ohren zuckten, wenn sie schnaubte.
» Alles okay « , versicherte ich noch einmal.
Neben dem Turnierplatz holten Dad und Annabelle Lee uns ein.
» Mir geht’s wirklich bestens « , sagte ich und konnte sehen, wie sich die Leute von der Mafia erst versammelten und dann zerstreuten. » Ich möchte jetzt nach Hause. «
Dad wandte sich an die Sanitäter. » Geht es ihr gut? «
» Wir checken sie im Rettungswagen noch mal durch « , meinten sie.
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