Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
hier auf der Highschool. Da sieht man ständig seltsame Dinge. « Das hier war nicht mehr die leise Sophia, sondern die wütende, angespannte Sophie, die an jenem Tag in meinem Beisein Derek zur Rede gestellt hatte.
» Da ist mehr an dem Foto, als du zugibst. Was sind das für seltsame Dinge, die du siehst? «
» Vielleicht will ich nicht darüber reden. Vielleicht bin ich ganz zufrieden damit, dass du und Sarah an der Junction High die Rollen der schrägen Mädels übernommen habt. «
» Wie nett! Ich könnte dir vielleicht helfen, wenn du mir etwas erzählst. «
» Was mir angetan wurde, kann ich nicht ungeschehen machen « , meinte sie voller Hohn. » Das, was ich habe, ist auf jeden Fall für immer. Ich will lieber gar nicht davon anfangen. Belassen wir’s einfach dabei. «
» Aber was ist es? «
» Himmel, Jessie. Du kannst einem vielleicht auf die Nerven gehen … « Sie stieß laut die Luft aus. » Also schön. Immer hereinspaziert in meine verrückte kleine Welt. « Sie zog das Foto wieder aus dem braunen Umschlag und drückte es flach an den Spiegel. » Was siehst du hier? «
» Unseren Jahrgang. Na ja, und dazu ein paar, die ihn wohl nicht zusammen mit uns schaffen werden. «
Sie verdrehte die Augen. » Fantastisch. Stift bitte. «
Ich sah sie verwundert an.
Sie schnippte mit den Fingern. » Mach schon. Dalli. «
Ich gehorchte und musste mit ansehen, wie sie das riesige Foto vollkritzelte. Ihrem Spiegelbild war anzusehen, wie konzentriert sie dabei war. Mit argwöhnischem Blick zog sie den Kopf zurück, war aber offenbar zufrieden. » Das alles … « – sie fuhr mit dem Finger um die durchgestrichenen Flächen – » verschwimmt. «
» Wirklich? « Ich zog mein Foto heraus und verglich die beiden. Nur wenige Stellen waren nicht ausgestrichen. » Und was ist mit denen? « Ich deutete nacheinander auf Konrektor Perlson, Derek Jamieson, Pietr, Cat, Sarah, Sophia.
Und mich.
» Und diese Elftklässler sind alle deutlich zu sehen? «
» Kristallklar.
» Aber warum? «
» Ich hab schon eine Menge darüber nachgedacht. Ich glaube, da geht es um Vorsätze. Motivation. Mir kommt es vor, als hätten diese hier klare Ziele. Die über den Lebensunterhalt, gute Noten oder die üblichen Erfolge beim Football oder bei Mädchen hinausgehen. « Sie schmunzelte. » Es ist, als hätten sie – wir – eine Berufung. Und wären schon mitten dabei. « Sie drückte mir den Kuli in die Hand. » Krass, was? «
Was immer sich in meinem Innern mit der Existenz von Werwölfen abgefunden hatte, ließ sich von diesem Konzept kaum aus der Bahn werfen. » Kannst du … herauslesen, was sie motiviert? Erkennen, was ihre Berufung ist? Was sie antreibt? «
Sie zuckte mit den Achseln. » Irgendwann vielleicht. Ich weiß bloß, dass sie anders sind. «
» Geht das bei jedem Foto? «
» Eigentlich nicht. Es muss auf jeden Fall aktuell sein. Vielleicht hat es was mit Energie zu tun. Ich würde gern mehr darüber herauskriegen, aber wonach soll man bei Google da suchen? Es ist einfach so was von abgefahren. «
» Kann ich ein Lied von singen. « Auch direkt neben der Tribüne hatte Sophia eine Fläche freigelassen. Möglicherweise auch ein menschlicher Umriss. Ich tippte darauf. » Und das hier? «
Sophia grinste. » Aber nur, wenn du wirklich bereit bist zu einem Trip an den Rand des Wahnsinns. «
» Ich bin da meistens die Busfahrerin. «
» Supi. Manchmal sehe ich eine Frau … nur ganz undeutlich. Sie ist da, aber gleichzeitig « – sie winkte mit der Hand – » nicht wirklich da. Was immer da bedeutet. «
» Wie ein Geist? «
Sie verzog ihr Gesicht zu einer hässlichen Grimasse. » Ja. «
» Wer ist sie? «
» Deine Mutter. «
Meine Welt stand für eine Minute still und ich schwankte. Das Foto glitt aus meinen Fingern und Sophia fing es im Fallen auf.
» Es kommt noch besser. Sie hat eine Botschaft für dich. «
Ich schluckte und das Geräusch ließ mir fast die Ohren platzen. Der Kloß in meinem Hals bewegte sich kein Stück.
» Bis jetzt habe ich nur einen Teil davon bekommen « , räumte sie ein. » Aber wie es scheint « – sie zog meinen Zettel wieder heraus – » hast du den gleichen Teil wie ich erhalten. «
GEFAHR .
21
Es war mein merkwürdigster Tag im ganzen bisherigen Sozialpraktikum.
Pietr hielt sich in der Schule fern von mir, aber wann immer Derek in die Nähe kam, fand mich Pietrs Blick. Er ließ höchstens mal einen coolen Spruch ab, streifte mich aber nicht einmal, wenn wir uns im
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