Die Namen der Toten
dass sie nicht getötet werden. Man kann sich ein paar ziemlich scheußliche Folgen vorstellen, wenn die Bibliothek bekannt würde. Das Komische dabei ist, dass es sich nur um Geburts-und Todesdaten handelt. In den Listen steht nichts darüber, wie die Menschen leben, nichts über die Lebensqualität. Das sind alles bloße Vermutungen.«
Will hob die Stimme. »Warum hast du’s dann getan? Warum die Postkarten?«
Mark hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde. Seine Oberlippe bebte, wie bei einem Kind, das gleich bestraft wird. »Ich wollte …« Er beendete den Satz nicht und schluchzte laut auf.
»Was wolltest du?«
»Ich wollte ein schöneres Leben haben. Ich wollte jemand – anders sein.« Er brach in Tränen aus.
Dieser Mann war wirklich ein Jammerlappen, aber Will beherrschte seine Wut. »Sprich weiter, ich hör dir zu.«
Mark putzte sich die Nase. »Ich wollte einfach kein Langweiler sein, der sein ganzes Leben lang in einem Labor hockt. Wenn ich die reichen Leute in den Casinos sah, fragte ich mich jedes Mal, warum die? Ich bin tausend Mal intelligenter. Warum schaffe ich es nicht? Warum lande ich nie einen Erfolg? Keine der Firmen, bei denen ich nach dem MIT gearbeitet habe, ist richtig expandiert. Nicht wie bei Microsoft oder Google. Ich habe zwar ein bisschen Geld mit Aktienoptionen gemacht, aber die ganze Dotcom-Sache ist an mir vorbeigegangen. Dann habe ich den Fehler begangen, mich von der Regierung anwerben zu lassen. Sobald sich der erste Reiz von Area 51 abnutzt, ist es nur noch ein mäßig bezahlter Computerjob in einem unterirdischen Bunker. Dann habe ich versucht, meine Drehbücher zu verkaufen – ich habe dir ja erzählt, dass ich Autor bin –, aber sie wurden abgelehnt. Und deshalb habe ich beschlossen, mein Leben zu verändern, indem ich ein paar Daten preisgebe.«
»Es geht also um Geld? Geht es darum?«
Mark nickte, fügte aber hinzu: »Aber nicht als Selbstzweck, sondern wegen all dem, was damit verbunden ist.«
»Wie wolltest du denn mit Sterbedaten Geld machen?«
Mark lächelte triumphierend. »Ich wollte nicht nur Geld machen, ich habe es schon getan. Und zwar viel Geld!«
»Klär mich auf, Mark. Ich bin eben nicht so schlau wie du.«
Mark bemerkte Wills spöttischen Unterton nicht – er fasste die Aufforderung als Kompliment auf und setzte zu einer Erklärung an. Zunächst sprach er langsam und ausführlich, dann zusehends hastiger. »Okay, ich habe es mir folgendermaßen vorgestellt – und ich muss sagen, dass es genau so gelaufen ist, wie ich es geplant hatte. Ich musste beweisen, was ich liefern konnte. Ich musste glaubwürdig sein. Ich musste Aufsehen erregen. Das schafft man, indem man die Medien einschaltet, richtig? Und was erfüllt all diese Kriterien? Das Jüngste Gericht – Doomsday! Ich fand die Bezeichnung übrigens genial. Ich wollte, dass alle Welt glaubt, es gäbe einen Serienmörder, der seine Opfer warnt. Deshalb habe ich aus der Datenbank nach dem Zufallsprinzip neun Menschen in New York ausgesucht. Okay, ich sehe deinen Blick, und möglicherweise war das in gewisser Hinsicht eine Straftat, aber ich habe schließlich niemanden getötet. Und sobald der Fall in den Medien richtig groß rauskam, konnte ich die Aufmerksamkeit des Mannes erregen, an den ich herankommen musste. Nelson Elder.« Er bemerkte Wills Gesichtsausdruck. »Was denn? Kennst du ihn?«
Will schüttelte verblüfft den Kopf. »Ja, ich weiß, wer das ist. Ich habe gehört, dass er tot ist.«
»Sie haben ihn umgebracht.« Mark flüsterte jetzt. »Und Kerry auch.«
»Das tut mir leid. Wer war Kerry denn?«
»Sie haben meine Freundin umgebracht!«, schrie Mark. Dann senkte er die Stimme wieder. »Sie hat nicht das Geringste gewusst. Das hätten sie nicht machen müssen. Und die Sache ist die, dass ich bei beiden von Anfang an hätte nachschauen können. Als ich mich dazu entschlossen hatte, es durchzuziehen …«
Plötzlich begriff Will. »O nein! Nelson Elder – Lebensversicherungen!«
Mark nickte. »Ich habe ihn in einem Casino kennengelernt. Er war ein netter Typ. Dann habe ich herausgefunden, dass seine Firma in Schwierigkeiten steckt, und womit kann man einer Lebensversicherungsgesellschaft mehr helfen als mit der Vorhersage, welche Menschen sterben werden? Das war meine große Idee. Und Nelson Elder hat das Potenzial sofort erkannt.«
»Wie viel?«
»Geld?«
»Ja, Geld.«
»Fünf Millionen Dollar.«
»Du hast die ganzen Informationen für lausige fünf Millionen
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