Die Namen der Toten
ständig zusammen gewesen, aber erst jetzt ging ihm auf, dass sie aß wie ein Spatz. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Klar.«
»Machen Sie eine Diät oder so was Ähnliches?«
Sie wurde rot. »Sozusagen. Ich habe wieder mit dem Joggen angefangen.«
»Tja, sieht gut aus. Machen Sie weiter.«
Verlegen senkte sie den Blick. »Danke.«
Er wechselte rasch das Thema. »Okay, lassen wir mal die Details weg und sehen uns das Große und Ganze an«, sagte er nebulös. »Wir werden mit Einzelheiten zugeschüttet. Gehen wir sie nochmal durch und achten auf Zusammenhänge.« Er ging zu ihr an den Konferenztisch und stapelte Akten übereinander, damit sie Platz hatten. Dann nahm er einen frischen Block, schrieb »Schlüsselergebnisse« darauf und unterstrich das Wort zweimal. Er zwang seinen Verstand zu arbeiten und lockerte seinen Schlips, damit das Blut besser floss.
Drei Morde waren am 22. Mai verübt worden, drei am 25. Mai, zwei am 11. Juni und seitdem kein weiterer. »Was sagt uns das?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf, deshalb beantwortete er die Frage selbst. »Das sind lauter Werktage.«
»Vielleicht hat der Typ einen Wochenendjob«, wandte sie ein.
»Okay. Vielleicht.« Er trug sein erstes Schlüsselergebnis ein: Werktage. »Suchen Sie die Swisher-Akten. Ich glaube, sie stehen im Bücherregal.«
Fall Nr. 1: David Paul Swisher, sechsunddreißigjähriger Investmentbanker bei HSBC. Park Avenue, wohlhabend, Ausbildung an einer Eliteuniversität. Verheiratet, offensichtlich keine Seitensprünge. Keine Enron-Leichen im Keller, soweit er das beurteilen konnte. Hatte den Familienköter zum frühmorgendlichen Gassigehen ausgeführt, kurz nach fünf Uhr morgens von einem Jogger in einer Blutlache aufgefunden – Uhr, Ringe und Brieftasche fehlten, Halsschlagader glatt durchgeschnitten. Die Leiche war noch warm und lag rund fünf Meter vom Aufnahmewinkel der nächsten CCTV-Kamera entfernt, die sich auf dem Dach eines Eigentumskomplexes an der 82 nd Street befand – fünf verdammte Meter und sie hätten den Mord auf Video. Dafür hatten sie aber eine kurze Bildfolge mit einer verdächtigen Person, eine 9-Sekunden-Sequenz, laut Zeitanzeige von 5:02:23 bis 5:02:32, aufgenommen von einer Überwachungskamera am Dach eines zehnstöckigen Gebäudes an der Westseite der Park Avenue, zwischen 81 st und 82 nd Street. Auf ihr war ein Mann zu sehen, der von der 82 nd Street her ins Bild kam und südlich in die Park Avenue abbog, kehrtmachte, den gleichen Weg zurückrannte, auf dem er gekommen war, und wieder in der 82 nd verschwand. Die Bildqualität war schlecht, aber die FBI-Techniker hatten die Aufnahme aufgeblasen und überarbeitet. Anhand der Hautfarbe des Verdächtigen, die an einer Hand zu sehen war, stellten sie fest, dass er ein Schwarzer oder Latino war, und aufgrund von Vergleichszahlen schätzten sie, dass er etwa eins achtundsiebzig groß sein musste und zweiundsiebzig bis achtzig Kilo wog. Die Kapuze eines grauen Sweatshirts verdeckte das Gesicht. Der Zeitrahmen war vielversprechend, denn der Notruf war um 5.07 Uhr eingegangen, aber da es keine Zeugen gab, hatten sie keinerlei Hinweis auf seine Identität.
Wenn die Postkarte nicht gewesen wäre, hätte das ein gewöhnlicher Straßenraub sein können, schlicht und einfach, aber David Swisher hatte eine Postkarte erhalten. David Swisher war das erste Doomsday-Opfer.
Will hielt ein Foto von dem Mann mit der Kapuze hoch und wedelte damit herum. »Ist das unser Typ?«
»Möglicherweise ist er David Swishers Mörder, aber deswegen muss er noch lange nicht der Doomsday-Killer sein«, sagte sie.
»Ein Serienmord durch einen Stellvertreter? Das wäre das erste Mal.«
Sie versuchte es mit einem neuen Ansatz. »Okay, vielleicht war das hier ein Auftragsmord.«
»Möglich. Ein Investmentbanker könnte Feinde haben«, sagte Will. »Bei jedem Geschäft gibt’s einen Gewinner und einen Verlierer. Aber David war anders als die anderen Opfer. Er war der Einzige, der einen Posten in der Wirtschaft hatte. Wer sollte denn für die Ermordung der anderen bezahlen?« Will blätterte eine der Swisher-Akten durch. »Haben wir eine Liste von Davids Kunden?«
»Seine Bank war nicht besonders kooperativ«, sagte Nancy. »Jede einzelne Frage wird erst mal von der Rechtsabteilung geprüft und muss dann noch von einem Generalbevollmächtigten persönlich abgesegnet werden. Bislang haben wir noch gar nichts bekommen, aber ich bleibe dran.«
»Ich habe das Gefühl, dass er der
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