Die Namen der Toten
nach Mitternacht. Mit einem Mal fiel ihm etwas ein, was ihn auf bessere Gedanken bringen könnte, und er zog sein Handy aus der Hosentasche. Dieser Tag war die reinste Pest gewesen, und dagegen half nur ein Mittel. Er holte tief Luft und rief eine Nummer aus dem Telefonverzeichnis an. Er ließ es klingeln.
»Hallo?« Eine Frauenstimme.
»Spreche ich mit Lydia?«
Zuckersüß kam es zurück: »Wer will das wissen?«
»Peter Benedict, aus dem Constellation , du weißt schon, Mr. Kemps Freund.«
»Area 51!«, rief sie. »Hi, Mark!«
»Du hast dir meinen richtigen Namen gemerkt.« Das war gut.
»Na klar. Du bist doch mein Ufo-Freund. Ich arbeite nicht mehr am McCarran, falls du nach mir Ausschau gehalten hast.«
»Ja. Mir ist schon aufgefallen, dass du nicht mehr da bist.«
»Ich habe jetzt einen besseren Job, in einer Klinik direkt am Strip. Ich bin Empfangsdame. Die machen dort Sterilisationen rückgängig. Ich finde es klasse!«
»Das ist gut.«
»Und was ist mit dir?«
»Tja, also, ich habe mich gefragt, ob du heute Nacht vielleicht frei bist?«
»Schätzchen, ich bin nie frei, aber wenn du mich fragst, ob ich zu haben bin, tja, ich wünschte, ich wär’s. Ich bin grade zu einer Verabredung im Four Seasons unterwegs, und danach brauche ich meinen Schönheitsschlaf. Ich muss ziemlich früh in der Klinik sein. Tut mir leid.«
»Mir auch.«
»Ach, mein Süßer! Melde dich bald mal wieder, versprochen? Sag mir ein bisschen früher Bescheid, dann kommen wir schon zusammen.«
»Klar.«
»Bestell deinen kleinen grünen Freunden einen Gruß von mir, okay?«
Er saß noch eine Weile niedergeschlagen da, ließ seine Gedanken treiben und befasste sich wieder mit dem Plan, der in seinem Kopf Gestalt annahm. Zunächst musste er etwas finden. Was hatte er mit der Visitenkarte gemacht? Er wusste, dass er sie aufbewahrt hatte, aber wo? Er begann zu suchen, nahm sich alle in Frage kommenden Stellen vor, bis er sie schließlich unter einem Haufen sauberer Socken in seiner Kommode fand.
Nelson G. Elder, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer, Desert Life Insurance Company.
Sein Laptop stand im Wohnzimmer. Gespannt googelte er Nelson G. Elder und sog sämtliche Informationen wie ein Schwamm in sich auf. Elders Firma, Desert Life, war an der Börse notiert, doch die Aktienwerte waren abgerutscht und standen fast auf einem Fünfjahrestief. Nach den Meldungen bei Yahoo war die Firma das reinste Gift für Investoren. Nelson Elder war bei seinen Aktionären alles andere als beliebt, und viele hatten schon genaue Vorstellungen, wie man ihm seine 8,6 Millionen Dollar Abfindungssumme schmackhaft machen könnte. Mark ging auf die Website der Firma und klickte sich durch Sicherungsdateien. Er scrollte durch die Rechtstitel und Finanzangaben. Als erfahrener Kleinaktionär, der sich mit Firmendokumenten auskannte, war ihm schon nach kurzer Zeit klar, wie es um die Geschäfte und Finanzen von Desert Life stand.
Er klappte den Laptop zu. Mit einem Mal hatte er den Plan vor Augen, vollständig, bis ins kleinste Detail. Er grinste vor Stolz.
Genauso mache ich es, dachte er. Ich mache es, verflucht nochmal! Über Jahre hinweg hatte sich der Frust aufgestaut, wie heißes, unter Hochdruck stehendes Magma. Scheiß auf ein Leben voller Minderwertigkeitsgefühle. Scheiß auf Eifersucht und unerfülltes Verlangen. Und scheiß auf die vielen Jahre, die er unter dem Druck der Bibliothek gelebt hatte. Der Vesuv brach aus! Wieder betrachtete er das Foto vom Klassentreffen und starrte mit eisiger Miene auf Wills gutaussehende, markante Züge. Und scheiß auf dich.
Jede Reise fängt irgendwo an. Mark kramte wie wild in einer seiner Küchenschubladen herum, der vollgestopften, in der er eine Tüte mit alten Computerteilen aufbewahrte. Bevor er sich aufs Bett fallen ließ, hatte er genau das gefunden, was er suchte.
Das Land unter ihm war gelb und tief zerklüftet. Aus der Luft wirkte der Kamm einer langen, niedrigen Bergkette wie der Rücken eines verdorrten Reptils. Die 737 war erst vor zwölf Minuten in Richtung Nordwesten gestartet und setzte bereits zum Landeanflug an. Das Flugzeug sah vor dem dunstig blauen Himmel wie ein Lutscher aus – ein weißer Rumpf mit einem leuchtenden roten Streifen vom Bug bis zum Heck, die Farben der längst pleitegegangenen Western Airlines, die von EG&G, einem Auftragnehmer des Verteidigungsministeriums, für die Shuttle-Flotte in Las Vegas übernommen worden war. Die Zulassungsnummern am Heck
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