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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Slapstick-Komödie. Er spürte, wie sein Herz hämmerte und sein Atem schneller und flacher ging. Seine Brust fühlte sich an wie eingeschnürt. Er drückte den Rücken durch, zog die Hand weg und stammelte: »Glauben Sie, ich …?«
    »Hey, Mann, tut mir leid. Ich dachte, verstehen Sie, dass Sie vielleicht auf Typen stehen. Ist ja nichts dabei.« Dann, fast so, als spreche er mit sich selbst: »Außerdem ist mein Freund John ohnehin froh, wenn ich nicht zum Zuge komme.«
    Nichts dabei?, dachte Mark wütend. Von wegen nichts dabei! Hey, du Arschloch, da ist sehr wohl was dabei, du blöde Schwuchtel! Ich will nichts von deinem verfluchten Freund hören. Lass mich in Ruhe, verdammt nochmal! Während er im Kopf diese verbale Breitseite abfeuerte, stürmten die Gefühle nur so auf ihn ein: Schwindel, Übelkeit, Panik. Er glaubte nicht, dass er aufstehen und weggehen konnte, ohne hinzufallen. Die Geräusche aus dem Restaurant und dem Casino schienen zu verstummen, und er hörte nur noch das Pochen in seiner Brust.
    Luis war sichtlich erschrocken über Marks weitaufgerissene Augen und den irren Blick. »Hey, Mann, ganz ruhig, alles klar? Sie sind ein netter Typ. Ich wollte Sie nicht aufregen. Ich geh bloß mal kurz aufs Klo, dann können wir uns weiter unterhalten. Vergessen Sie die Sache mit dem Zimmer. Okay?«
    Mark reagierte nicht. Er saß nur reglos da und versuchte sich zusammenzureißen. Luis nahm seine Brieftasche und sagte: »Bin gleich wieder da. Passen Sie auf meinen Drink auf, okay?« Er klopfte Mark auf den Rücken und sagte besänftigend: »Ganz ruhig, okay?«
    Mark sah Luis nach, bis er um die Ecke verschwand, sah den strammen Hintern in der engsitzenden Hose. Bei diesem Anblick empfand er nur noch eines – blinde Wut. Ihm wurde heiß. Seine Schläfen brannten. Er trank den letzten Schluck Bier und versuchte sich zu beruhigen.
    Nach ein, zwei Minuten meinte er aufstehen zu können und setzte vorsichtig die Füße auf den Boden. So weit, so gut. Seine Knie gaben nicht nach. Er wollte so schnell wie möglich weg, spurlos verschwinden, deshalb warf er hastig einen Zwanziger auf die Bar, dann zur Sicherheit noch einen Zehner. Der zweite Schein landete auf einer Karte. Es war Luis’ Führerschein. Mark blickte sich um, dann nahm er ihn kurz in die Hand. Luis Camacho. Minnieford Avenue 189, City Island, New York, 10464. Geboren am 12. Januar 1977. Er warf den Führerschein wieder auf den Tresen und rannte regelrecht aus der Bar. Er musste nichts aufschreiben. Er hatte sich alles gemerkt.
     
    Am nächsten Morgen um halb acht befand sich Mark in 4500 Meter Höhe und schnarchte leise vor sich hin. Er schlief nur selten auf den kurzen Pendlerflügen zur Arbeit, aber gestern war er erst spät ins Bett gekommen.
    Nachdem er das Luxor verlassen hatte, war er zu seinem Haus in einer ruhigen, von nur sechs Häusern gesäumten Sackgasse gefahren. Er wohnte in einem freundlichen, eierschalfarbenen verputzten Flachbau mit einem orangen Ziegeldach, der auf einem kleinen Grundstück mit einem Fleckchen Zierrasen stand. Auf der Rückseite befand sich eine an die Küche angrenzende Veranda mit Sichtblenden zum Sonnenbaden. Die Einrichtung wirkte beliebig, junggesellenhaft. Als er noch in der Privatwirtschaft tätig gewesen war und in Menlo Park ein hohes Gehalt bezog, hatte Mark teure Designermöbel für ein modernes Apartment gekauft, minimalistische Stücke mit streng geometrischen Formen und grellen Farbtupfern. Doch in einem Ranchhaus in spanischem Stil waren diese Möbel unpassend, man fühlte sich wie in einer Abstellkammer. Die ganze Einrichtung wirkte unpersönlich, es gab kaum ein Bild oder ein Accessoire, das auf den Charakter des Bewohners schließen ließ.
    Mark fand keine Ruhe. Er war aufgewühlt, und seine Gefühle brodelten wie in einem Säurebad. Er versuchte fernzusehen, aber nach ein paar Minuten schaltete er das Gerät angewidert aus. Er nahm eine Zeitschrift, doch bald warf er sie auf den Kaffeetisch, wo sie gegen ein kleines, gerahmtes Foto stieß, das umkippte. Er hob es auf und betrachtete es: die einstigen Zimmergenossen beim fünfundzwanzigjährigen Klassentreffen. Zeckendorfs Frau hatte es rahmen lassen und als Andenken geschickt.
    Er wusste nicht recht, warum er es aufgestellt hatte. Diese Leute bedeuteten ihm nichts mehr. Früher hatte er sie sogar verabscheut. Vor allem Dinnerstein, seinen persönlichen Peiniger, der es offenbar richtig genossen hatte, einen schüchternen, durch das neue Umfeld

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