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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Jahre alt! Wenn du dich heute einmal ausruhen, deinen Federkiel weglegen und einen Spaziergang in der Sonne machen willst, sage ich Bescheid, dann lassen sie dich bestimmt hinaus.«
    Er aß zu Ende und begann sofort wieder zu schreiben, schmierte mit den Fingern Fett auf das Pergament. In den zwei Jahren, die sie sich schon um ihn kümmerte, war Mary immer neugieriger auf den Jungen geworden. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie allein eines Tages seine Zunge lösen und ihn dazu bringen könnte, seine Geheimnisse preiszugeben. Und sie hatte sich eingeredet, dass an seinem achtzehnten Geburtstag irgendetwas Bedeutsames geschähe, als werde mit dem Erwachsenwerden der Bann gebrochen und dieser eigenartig schöne Jüngling in die Bruderschaft der Männer eintreten.
    »Du hast nicht einmal gewusst, dass du Geburtstag hast, was?«, sagte sie ungehalten. Sie forderte ihn weiter heraus. »Der siebte Julius. Jeder weiß, wann du geboren bist, weil du etwas Besonderes bist, nicht wahr?«
    Dann griff sie unter ihren Leinenkittel und zog ein kleines Bündel hervor, das sie dort verborgen hatte. Es war etwa so groß wie ein Apfel, in ein Stück Tuch eingeschlagen und mit einem dünnen Lederriemen zusammengebunden.
    »Ich habe ein Geschenk für dich, Octavus«, sagte sie, fast singend.
    Dann stellte sie sich hinter seinen Hocker und streckte ihren Arm an ihm vorbei, legte das Päckchen auf sein Blatt und zwang ihn dadurch innezuhalten. Mit seiner immer gleichen ausdruckslosen Miene starrte er das Päckchen an.
    »Pack es aus«, drängte sie.
    Er sah nur weiter vor sich hin.
    »Na schön, dann mache ich es für dich!«
    Sie beugte sich über ihn, griff mit ihren kräftigen Armen an seinem Oberkörper vorbei und begann das Päckchen aufzuschnüren. Es enthielt einen runden, goldbraunen Kuchen, der klebrig süße Flecken auf dem Tuch hinterließ.
    »Schau! Es ist ein Honigkuchen! Ich habe ihn selbst gebacken, nur für dich!«
    Sie schmiegte sich an ihn.
    Vielleicht spürte er den Druck ihrer festen kleinen Brüste durch sein dünnes Hemd. Vielleicht spürte er die warme Haut ihrer Oberarme über seine Wange streichen. Vielleicht roch er den weiblichen Duft ihres jungen Leibes oder den warmen Atem aus ihrem Mund, als sie redete.
    Er ließ seinen Federkiel fallen und die Hand in den Schoß sinken. Er atmete schwer und wirkte seltsam erschüttert. Erschrocken wich Mary ein paar Schritte zurück.
    Sie sah nicht, was er tat, aber er schien an sich herumzukratzen, als hätte ihn eine Biene gestochen. Sie hörte ihn zwischen zusammengebissenen Zähnen leise Pfeiflaute ausstoßen, wie ein Tier.
    Plötzlich stand er auf und drehte sich um. Sie keuchte auf und spürte, wie ihre Knie nachgaben.
    Seine Hose stand offen, und er hatte seine riesige, aufgerichtete Rute in der Hand, die rosiger war als alle übrige Haut.
    Er stürzte auf sie zu und stolperte über seine Hosenbeine, als er mit langen, zarten Fingern, als wären es Tentakel mit Saugnäpfen, nach ihrer Brust griff.
    Beide fielen zu Boden.
    Mary war viel kräftiger als Octavus, doch der Schreck hatte sie schwach werden lassen wie ein kleines Kätzchen. Instinktiv schob er ihren Kittel hoch und entblößte ihre zarten Schenkel. Dann lag er zwischen ihren Beinen und stieß heftig in sie. Seinen Kopf hatte er über ihre Schulter gebeugt, die Stirn an den Boden gedrückt. Wieder gab er kurze, leise Pfeiflaute von sich.
    Mary war ein weltkluges Mädchen; sie wusste, was mit ihr geschah. »Herr im Himmel, sei mir gnädig!«, schrie sie ein ums andere Mal.
    José, der iberische Mönch, hörte an seinem Kopistentisch im großen Saal die Schreie. Als er die Treppe hinabgeeilt war, hockte Mary leise weinend an der Wand, den Kittel mit rotem Blut befleckt, und Octavus saß wieder an seinem Pult, die Hose um die Knöchel hängend, und ließ den Federkiel über das Blatt fliegen.

15. Juli 2009 – New York City
    Es war schwül und stickig, ein Nachmittag mit hoher Luftfeuchtigkeit, und die Hitze, die vom Straßenbelag abstrahlte, wirkte wie eine vorgezogene Höllenstrafe. Vorsichtig liefen die New Yorker über die kochend heißen Gehsteige, auf denen die Gummisohlen weich wurden und die Gliedmaßen so schwer, als gehe man durch Haferschleim. Wills Polohemd klebte an seiner Brust, während er zwei schwere Plastiktüten voller Lebensmittel und Getränke schleppte.
    Zu Hause riss er ein Bier auf, stellte eine Herdplatte an und schnitt eine Zwiebel klein, während er die Bratpfanne erhitzte. Das

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