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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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gnädig gesonnen sein.«
*
    Etwas Durchsichtiges, Gallertartiges war mit dem Wasser gekommen. Es sah aus wie eine riesige Qualle, die sich mit Hilfe peitschender Nesselfäden fortbewegte.
    Keine der Frauen war in der Lage, diesem Geschöpf auszuweichen. Auch Gerrek fühlte plötzlich eine flüchtige Bewegung. Seine zupackenden Hände verkrallten sich in weichem, zuckenden Fleisch. Das Tier hüllte ihn ein, als höchstens noch zwei Handbreit Luft unter der Decke des Raumes waren.
    Den Mandaler schienen unsichtbare Fesseln zu umfangen, er wollte mit den Fäusten zuschlagen, aber seinen Hieben fehlte die Kraft - es war als kämpfe er gegen einen tückischen Sumpf, der ihn langsam zu verschlingen drohte.
    Gerrek hielt den Atem an. Ein lautes Gurgeln verriet ihm, daß das Wasser nunmehr die Decke erreichte und in die Abzugslöcher eindrang.
    Er haderte nicht mit dem Schicksal, das ihn hierher geführt hatte, nur um ihn wie einen heißen Stein fallen zu lassen…
    Er fühlte kein Bedauern, kein Selbstmitleid; er hatte dem Tod oft genug ins Auge geschaut, um ihn nicht mehr wirklich zu fürchten. Er hatte sein Leben gelebt und, wie er meinte, sogar gut gelebt. Trotzdem würde er vieles anders machen, wenn es ihm noch einmal vergönnt wäre…
    Tief atmete Gerrek durch, ein Seufzer entrang sich seiner Brust.
    Im ersten Moment begriff er nicht, sodann wurde ihm klar, daß die Qualle, wie er das durchscheinende Geschöpf mangels einer anderen Bezeichnung nannte, ihn gerettet hatte. Ihn und die anderen, die nur durch dünne Hautlappen von ihm getrennt waren. In ihren Gesichtern las er dieselbe Überraschung, die auch er empfand.
    Wie die Medusen von Korum, so bewegte die Qualle sich auf seltsam hüpfende Art, stieg in die Höhe, wenn ihr mächtiger Körper sich zusammenzog und glitt dann gleichmäßig dahin. Ihre Hülle zeichnete ein feines Netz aus rötlich schimmernden Adern, und im Innern des gewölbten Körpers waren vage einige Organe zu erkennen.
    Fast lautlos öffnete sich eine Wand. Auch dahinter lag Wasser. Eine sanfte Strömung erfaßte die Qualle.
    »Was geschieht mit uns?« Gerrek erkannte seine eigene Stimme kaum wieder - sie klang fremd und dumpf verzerrt.
    Kalisse machte ihrem Unmut mit heftigen Bewegungen Luft und zerfetzte dabei etliche der leicht pulsierenden Hautlappen. Da das Tier dies nicht wahrzunehmen schien, zog die Amazone eines ihrer Schwerter. Doch Gorma fiel ihr in den Arm und hinderte sie daran, zuzustoßen.
    »Nicht, oder willst du uns alle umbringen? Was glaubst du, warum wir noch atmen können - weil die Qualle uns mit Luft versorgt.«
    Kalisse zögerte zwar, schob aber schließlich ihre Klinge in die Scheide zurück.
    Sie trieben jetzt über dem Meeresboden dahin. Scheinbar zum Greifen nahe vor ihnen erhob sich die Tempelkuppel, deren oberes Rund bis dicht unter die Oberfläche hinaufreichte. Die Qualle schwamm auf dieses riesenhafte Bauwerk zu, das bedrückend wirkte und von einer unsichtbaren, bedrohlichen Aura umgeben.
    Ein breiter Graben lag wie ein Ring um die Kuppel. Daß er sehr tief war, konnten die Gefangenen allerdings erst nach und nach erkennen.
    »Ich glaube«, sagte Gorma unvermittelt, »wir bekommen Besuch.«
    Aus einer Öffnung an der Basis des Tempels kommend, näherten sich mehrere Tritonen. Sie waren nicht wie die anderen, das zeigte sich sehr schnell. Zwar besaßen auch sie ein kräftiges Schuppenkleid, doch auf ihren Schädeln wuchs langes, weißes Haar, das sie gleich einem Strahlenkranz umgab. Unzweifelhaft waren diese Wesen aus Verbindungen zwischen Okeazar und Menschen hervorgegangen. Ihre Gesichter, fein geschnitten, mit hervortretenden Wangenknochen wirkten längst nicht so hart und kantig, wie man dies von den Wasserbewohnern gewohnt war. Eher besaßen sie etwas Edles, das sie deutlich sichtbar auf eine höhere Stufe stellte.
    »Das müssen die Okeara-lör sein, von denen Learges gesprochen hat. Die Hohenpriesterinnen der Anemona«, sagte Sosona.
    Die Weißhaarigen kannten keine Scheu vor der Qualle. Sie schwammen zwischen den zuckenden Nesselfäden hindurch, ohne von diesen berührt zu werden. Aufmerksam beachteten sie die Menschen.
    Schließlich hob eine von ihnen, deren Haar bis weit über die Schultern reichte und damit am längsten war, ein seltsam anmutendes ovales Gebilde hoch, das aus einer Reihe verschieden starker Häute bestand. Gorma erkannte es als eine Art Membrane. Tatsächlich sprach die Okeara-lör durch dieses Ding, und was sie sagte, wurde im Innern

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