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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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der Qualle hörbar.
    »Wir haben lange warten müssen, euer habhaft zu werden, aber der Macht der Meermutter kann niemand entfliehen.«
    »Was habt ihr vor mit uns?« zischte Gerrek.
    Die Hohenpriesterin legte den Kopf schräg, als könne sie nur schwer verstehen.
    »Ihr seid gute Kämpfer und habt euer Können mehrfach unter Beweis gestellt«, sagte sie schließlich. »Daß die Brut des Vierarmigen vernichtet wurde, verdanken wir euch und euren Schwertern. Deshalb soll euch die größte Ehre zuteil werden, die einem Menschen in seinem Leben widerfahren kann.«
    »Wahrhaft, wir wissen es zu schätzen«, spottete Gorma. Die Okeara-lör ging nicht darauf ein.
    »In Kürze werdet ihr die Anemona kennenlernen. Bereitet euch darauf vor.«
    »Wir sollen geopfert werden auf einem der Altäre, auf denen das Blut Unschuldiger vergossen wird?«
    »Nein, denn es ist bestimmt, daß eure Kräfte in der Göttin aufgehen.«
    »Anders ausgedrückt, wirft man uns ihr zum Fraß vor«, fuhr Gerrek auf. »Was für eine Bestie muß die Anemona sein.«
    »Hüte deine Zunge, Purpurner, oder du wirst Qualen leiden wie nie einer vor dir.«
    Ihrer befehlenden Handbewegung schien die Qualle Folge zu leisten, denn das Tier ließ sich entlang der Tempelmauer absinken und tauchte in den Graben ein. Keine der Frauen äußerte sich, selbst Gerrek schwieg betreten. Seit Tagen schon mußten sie ständig um ihr Leben bangen, mußten darauf gefaßt sein, im Wasser umzukommen, aber die Hoffnung hatten sie niemals aufgegeben. Nun schien es keinen Ausweg mehr zu geben. Das Schlimme daran war, daß ihnen das Heft des Handelns entglitt. Nicht einmal kämpfen konnten sie.
    Fische zogen vorbei. Seepferdchen, die eine Größe von mehr als einer Elle erreichten, kamen bis unmittelbar an die Qualle heran. Keiner beachtete sie.
    »Ich habe Hunger«, sagte Gerrek trotzig und erntete dafür mißbilligende Blicke.
    »Wie kannst du ausgerechnet jetzt von solch banalen Gefühlen reden«, empörte sich Scida.
    »Jetzt oder später, was ändert das schon? An einem dürren Mandaler muß die Anemona nur unnötig zausen.«
    »Ach, sei still!« fauchte Gorma ungehalten.
    »Ich glaube, alles, was da draußen schwimmt, ist für die Göttin bestimmt.« Gerrek vollführte eine umfassende Handbewegung, soweit ihm dies überhaupt möglich war.
    Im nächsten Moment stutzte er.
    »Da kommen noch mehr Quallen.«
    Auch Gorma hatte die Tiere bemerkt, die wegen ihrer durchscheinenden Körper auf eine Entfernung von fast dreihundert Schritten nur schwer auszumachen waren. Lediglich die Schatten in ihrem Innern verrieten sie.
    »Das sind Menschen«, stellte Sosona schließlich fest. »Ihnen wird es nicht anders ergehen als uns.«
    Manches Gesicht war verzerrt vor Furcht und Entsetzen, andere wieder drückten Resignation aus und einen Gleichmut, den nur der empfinden kann, der mit dem Leben abgeschlossen hat. Durch Handzeichen versuchten die Amazonen sich verständlich zu machen, aber niemand antwortete ihnen.
    Einige Quallen trieben schnell vorbei, zwei blieben ungefähr auf gleicher Höhe. Acht waren es an der Zahl, und jedes dieser Geschöpfe von gefährlicher Schönheit barg einen oder zwei Gefangene.
    »Nein«, stöhnte Gorma plötzlich auf. »Das - das darf nicht wahr sein.« Schon der Klang ihrer Stimme drückte Hilflosigkeit aus; man mußte nicht die beginnende Blässe sehen, um ihr Entsetzen zu erkennen.
    Keine fünfzig Schritte von ihnen entfernt war eine Frau gefangen. Eine Kriegerin zweifelsohne - groß und kräftig in den Schultern, mit straff hochgestecktem, zum Knoten der Amazonen geschlungenem schwarzen Haar. Halb abgewandt verharrte sie in angespannter Haltung, eine Klinge in der Linken. Sie schien die Wand des Tempels zu betrachten.
    »Das ist Burra!« rief Sosona erschreckt aus. »Ich erkenne ihre Rüstung und die Art, wie sie ihr Schwert hält.«
    »Wo mag Zaem sein, die Zaubermutter des Schwertmonds?«
    Es gab viele Antworten darauf, aber nur Burra mochte die richtige erkennen. Schwer, sich vorzustellen, daß Zaem, wenn sie noch ihrer Zauberkräfte mächtig war, ihre ruhmreichste Kriegerin im Stich ließ.
    »Sie ist genauso hilflos wie wir«, meinte Gerrek.
    Gorma rief den Namen der Gefährtin, rief ihn so laut, daß ihre Kehle schmerzte. Doch das Wasser trug den Schall nicht so weit.
    »Kannst du machen, daß Burra uns versteht?« wandte sie sich dann an Sosona.
    Die Hexe schürzte die Lippen.
    »Ich will es versuchen«, sagte sie. »Aber ich bezweifle, daß mir dies

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