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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Viehtreibern der Pygmäenstämme aus den Rho Flot-Ebenen erwartet hätte, riß mit einem kurzen Ruck am linken Zügel den beladenen Wagen scharf herum und bretterte schlingernd und schleudernd auf den Dorfplatz.
    Überall sonst wäre bei einem vergleichbar rasanten Einstand ein halbes Dutzend spielender Kinder unter die rasenden Räder gekommen, in jedem anderen Dorf dieser Welt hätte ein derartiger Auftritt die Ausrottung einiger jener eher phlegmatischen Enten zur Folge gehabt, die besonders gern auf dem Streifen zwischen ausgefahrenen Radspuren zu siedeln scheinen; hätte die ungebührliche Destruktion einiger Schaufensterscheiben nach sich gezogen und eine ganze Flut gerichtlicher Vorladungen – betreffs Ersatz des aus dem vorstehend beschriebenen Verhalten entstandenen Schadens.
    Hier aber kümmerte das keinen Menschen.
    Es gab niemanden, den es kümmern hätte können.
    Apathos donnerte durch die Ansammlung knallbunt bemalter Häuser, die wie Theaterkulissen aussahen, verschwendete keinen einzigen Blick an die überwucherten Blumenvasen und -ampeln, beachtete den Trümmerhaufen nicht, der von einem rosarot gestrichenen Portikus geblieben war, und beachtete genausowenig den mysteriöserweise verwaist daliegenden Teich, der mit einer wasserspeienden Skulptur geschmückt war, die ein Delphinenpaar darstellte.
    Er johlte lediglich ein zweites Mal und steuerte mit seinem rumpelnden Karren geradewegs auf eine steil aufragende Felsmauer zu, auf der, wie ein Iro auf dem Scheitel eines Punk, eine Baumreihe stand.
    Jeder, der Losa Llamas nicht kannte, hätte hinter dieser Handlungsweise pure Dummheit vermutet. Oder selbstmörderische Absicht. Vielleicht auch beides. Es führte kein Pfad über diese Erhebung. Und selbst wenn das der Fall gewesen wäre: Kein Pferd hätte einen beladenen Wagen über diese beinahe senkrechte Steigung hinaufziehen können. Nur Apathos ließ sich nicht beirren: Mit wildem Juhu schwang er die Peitsche und kesselte ungebremst durch die Allee aus – wie es den Anschein hatte – ›echten‹ Holunderbäumen.
    Erst als die Pferdehufe hinter einem kleinen und erstaunlich realistisch wirkenden Rhododendronstrauch einen kaum sichtbaren Thaumarstrahl unterbrachen, erst dann geriet auch einiges andere in Bewegung.
    Die Holunderbäume zuckten epileptisch, klickten, drehten sich zur Seite und legten sich – ein unnatürlicher Vorgang für einen Baum – flach auf den Boden. Ein moosbedeckter Felsbrocken begann zu rotieren, es dröhnte und rumpelte und rumorte so infernalisch laut, als wolle ein Vulkan ausbrechen, und dann … dann glitt die Felsmauer ein Stück zurück und verschwand. Das Vehikel knatterte in den düsteren Schlund, Apathos riß an der Handbremse, die Räder kreischten, der Karren kam mit einem eleganten Bremsschwung zum Stehen. »Da bin ich wieder, Schatz!« Apathos’ Stimme hallte schwach durch die riesige Höhle.
    Draußen schnalzten die Bäume zurück und stellten sich wieder senkrecht, mit einem Donnerschlag schloß sich die Felswand.
    »Keiner da?« schrie Apathos wieder. Steifbeinig kraxelte er vom Wagen, tätschelte das schwitzende Pferd und belohnte es mit dem wohlverdienten Zuckerstückchen. »Willkommen zu Hause, Apathos«, murrte er vor sich hin. »Wie war die Reise? Gute Geschäfte gemacht? Tja. Losa Llamas heißt dich herzlich willkommen!« knurrte er sarkastisch.
    Tatsächlich hieß Losa Llamas nur sehr selten irgend jemanden willkommen. Das lag zum einen daran, daß es unter der Erde und mitten in einem riesigen Wald versteckt war, in dem sich Kreaturen herumtrieben, die für jedermann eine tödliche Gefahr darstellten [8] ; und zum anderen daran, daß Losa Llamas ein streng geheimgehaltenes Zentrum der Thaumarforschung war, gegründet und eingerichtet für die Entwicklung der Ultimativen Abschreckungswaffe.
    Losa Llamas war ein Rätsel, ein einziges großes dunkles Geheimnis. Gesicherte Kenntnisse hinsichtlich seiner Geschichte und Vergangenheit waren seltener als der vom Aussterben bedrohte angstarktische Buntschwirl. Dieses Manko sorgte zwar dafür, daß die Einwohnerschaft von Losa Llamas vor lästigen Schnüfflern weitgehend sicher war; es verhinderte aber die Lösung bestimmter Probleme, mit denen sich die Losa Llamianer herumschlagen mußten.
    So hatte zum Beispiel niemand in diesem im Untergrund versteckten Dorf auch nur die leiseste Ahnung, wer eigentlich ultimativ abgeschreckt werden sollte. Und warum. Oder wen man informieren mußte, wenn es tatsächlich

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