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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Regen zu fallen.
    »Warum gerade ich?« fragte Quintzi flehentlich. Er bekam keine Antwort.
    »Hör schon auf mit deiner Jammerei!« Zornig attackierten die Nanowichte sein Trommelfell. »Wir haben es doch warm und gemütlich!«
    »Ich will aber jammern. Jammern kann ich gut.«
    »Halt den Kopf gerade«, fauchte Nimlet. »Sonst regnet es rein!«
    Unglücklich neigte Quintzi den Kopf nach rechts und hielt das linke Ohr in den Regen. Und dann aktivierte er den letzten winzigen Rest Humor, der ihm noch geblieben war: Er grinste, als sich ein kalter Regentropfen durch den Gehörgang schlängelte.
    Die Nanowichte schrien, zitterten und klagten noch viele, viele Stunden lang.

 
IV
DAS PERSÖNLICHE FUTUROSKOP
     
     
    Quintzi Cohatl wäre der letzte gewesen, der hätte abstreiten wollen, daß er jemals besser geschlafen hatte. Die ganze Nacht hatte es ohne Ende geschüttet, der Regen war ihm in Bächen den Rücken hinuntergelaufen, in der kalten Nässe hatten sich seine arthritischen Knochen zum einem beinharten Klumpen verknotet. Hätte es noch recht viel länger als bis fünf Uhr früh weitergekübelt, so wären wohl berechtigte Zweifel dahingehend angebracht gewesen, ob er seinen Schlupfwinkel gegenüber von Rudi Ramschers geplündertem Warenhaus jemals verlassen hätte. Und beinahe wäre es auch nicht dazu gekommen. Daß er es doch geschafft hatte, das hatte er einem Pilz und einer unglaublich hohen Dosis Willenskraft zu verdanken.
    Kaum wahrnehmbar, so wie es nun einmal ihre Art ist, schlich sich die Morgenröte über den Horizont. Wieder zitterte Quintzi, fluchte und jammerte erbärmlich. Sein Magen krümmte sich vor Schmerzen, litt wie ein Hund unter den Qualen der Leere. Beinahe unbeabsichtigt stahl sich seine linke Hand in das blaue Körbchen, das er bei sich hatte, kramte eine Weile darin herum und zog einen grauverfärbten Brocken heraus, ein Überbleibsel von dem, was einmal ein blauschimmlig geäderter Pilz gewesen war. Noch bevor ihm bewußt wurde, was er tat, steckte er das Ding in den Mund und kaute darauf herum.
    Blitzartig machte sich die Magensäure darüber her, riß die Zellwände auf und setzte enorme Mengen jener hexentiellen Protomageine frei, die den Agaricus thaumagensis mit Recht so berühmt gemacht haben, und die im Darm latent vorhandenen Enzyme machten sich eifrig daran, die in diesem Stoff in gebundener Form eingeschlossene Thaumarenergie anzuzapfen.
    »Booooooaaahhheeeyyy!« schrie Quintzi – auf eine Art und Weise, wie Müsliverzehr es nie bewirken würde. Und schon spannte er die maroden Knie an, steckte den Finger ins Ohr, rüttelte und schüttelte und scheuchte – zum ersten Mal im Leben! – Tiemecx aus den Federn.
    »Hopphopp! Auf, auf! Es gibt Arbeit!« krähte er, munter wie der Animateur im Ferienklub. Und ebenso dynamisch sprang er auf und schlurfte los, zum Gebäude des Amtes für Natürliche Ordnung in Guldenburg.
    Als er nachts wachgelegen hatte, als die Verzweiflung immer tiefer und der Wasserstand immer höher geworden war, da war ihm so manches klargeworden. Vor allen Dingen aber eines: Er mußte an diese Kristallkugel kommen. Unbedingt. Ohne sie saß er bis zum Hals in der Tinte, vielleicht auch in einer Brühe von weit unangenehmerer Beschaffenheit. Ohne Kristallkugel würde er nie wieder sein Leben auf ehrliche Weise verdienen können.
    Verstohlen humpelte aus dem dunklen Winkel, in dem er sich versteckt hatte, und drückte sich eng an die Rückwand des Gebäudes, in dem das Amt für Natürliche Ordnung seinen Sitz hatte. Mit Argusaugen beobachtete er die Umgebung, fuhrwerkte wieder in seinem linken Ohr herum und flüsterte verschwörerisch: »Na los! Macht schon endlich! Ihr wißt, was ihr zu tun habt!«
    Die Nanowichte nahmen alles zusammen, was sie an Kraft und Energie noch mobilisieren konnten, hoben vom Ohrläppchen ab und verschwanden zwischen den Gitterstäben des Hochsicherheitsfensters. Sie schimpften und fluchten in einem fort, ärgerten sich, daß sie sich hatten breitschlagen lassen, diese Glaskugel ausfindig zu machen. Wenn sie den Hextirpator nicht so dringend gebraucht hätten, dann hätten sie ganz anders verhandeln können.
    Kurz darauf sausten sie durch die Korridore des Amtes für Natürliche Ordnung, flitzten unter Türen hindurch, schlängelten sich durch Schlüssellöcher, schmuggelten sich, neugierig, wie sie waren, in ein Zimmer nach dem anderen ein und suchten nach dem Raum, in dem die magischen Bedarfsartikel lagerten, die vor kurzem in Rudi

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