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Die Narben der Hoelle

Die Narben der Hoelle

Titel: Die Narben der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Dieter Neumann
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keine Sekunde länger hier unten bleiben. Das Boot rollte und stampfte so stark, dass er sich an der Schlingerleiste festkrallen musste, um nicht zu stürzen. Leicht konnte der Autopilot bei einer derart schweren Dünung versagen und das Boot aus dem Ruder laufen. Er warf noch einen kurzen Blick auf seinen verängstigten Blinden Passagier mit der rosa Nasenspitze.
    »Na, dann mal herzlich willkommen auf unserer beliebten Mittelmeer-Kreuzfahrt!«, rief er dem zitternden Tier zu, schnappte sich die Thermoskanne und stieg wieder nach oben.
    Kurz vor Tag näherte sich die Yacht einer winzigen Insel etwa zwei Seemeilen vor der nördlichen Einfahrt in die Bucht. Sie war eigentlich kaum mehr als ein Haufen spitzer Felsen, die aus dem Meer ragten. Nach der Seekarte sollte ein weißes Feuer mit Gleichtaktkennung darauf stehen.
    Johannes starrte voraus in die Finsternis. Nirgends ein Licht.
    Stimmte sein Kurs? So nah und unbeleuchtet waren diese Steine ein bedrohliches Hindernis. Konnte er sich auf den Kartenplotter verlassen?
    Unruhig suchte er wieder und wieder den Horizont ab, während ihn die feine Gischt wie mit spitzen Nadeln ins Gesicht stach. Mehrmals überprüfte er die Position, und sein Puls beruhigte sich erst, als er das Inselchen in der Morgendämmerung etwa eine halbe Meile an Backbord querab im Fernglas erkannte.
    Zu hören war die Brandung im Heulen des Windes nicht, aber deutlich sah er durch das Glas die aufgewühlte Dünung an den spitzen grauen Felsbrocken lecken. Sogar den kleinen Gittermast, auf dem das vermutlich defekte Rundumlicht montiert war, konnte er ausmachen.
    Als er sich der Küste näherte, schlief der Starkwind ein, er konnte das Vorsegel wieder zur vollen Fläche ausrollen und die Reffs aus dem Großsegel nehmen. So durchpflügte er mit voller Rauschefahrt die immer noch bewegte See und genoss diese herrliche Stunde, bevor er schließlich den Kurs auf Süd ändern und in die Bucht einlaufen konnte.
    Nur noch den Anker setzen und dann schlafen!
    Johannes konnte kaum noch die Augen offen halten. Erst wäre er allerdings fast auf die Katze gefallen, die sich auf seiner Koje unter einem Kissen verkrochen und dort anscheinend die nächtliche Sturmfahrt in bester Seemannschaft abgeritten hatte. Sie sprang mit einem erschreckten Laut an ihm vorbei und verschwand im Salon.
    Noch während er darüber nachdachte, was er mit dem Tier anfangen sollte, fiel er in tiefen Schlaf und erwachte erst wieder, als die Sonne schon hoch am Himmel stand.
    Ein eigenartiger Laut.
    Irgendetwas hatte er gehört, da war er sich sicher. Er blieb still in seiner Koje liegen und lauschte.
    Sanfte Geräusche: Leises Schwappen kleiner Wellen an der Bordwand, zartes Gebimmel – Ziegenglöckchen vermutlich. Einmal auch aus weiter Ferne der Motor eines Autos.
    Und all das überlagert vom beständigen Zirpen der Grillen, das über das Wasser der Bucht heranwehte.
    Sonst nur Ruhe.
    Nein, da war es wieder: Klägliche Laute, die sein kleiner Blinder Passagier oben an Deck ausstieß!
    Er stand auf und warf einen Blick aus dem in die Decke eingelassenen, hochgeklappten Vorschiffsluk. Die Mittagssonne brannte aus einem wolkenlosen Himmel auf das Wasser. Ein paar Bootslängen entfernt dümpelte träge ein großer Motorsegler mit grünem Stahlrumpf im glasklaren Wasser, altmodisch Yawl-getakelt mit einem kurzen Besanmast hinter dem Ruder. Am Heck hing eine britische Flagge schlaff an ihrem Stock. Niemand an Deck.
    Auch am Ufer des Festlandes keine Menschen. Und auf der langgestreckten Insel vor der Bucht – Kalem hieß sie in der Karte – waren die Ziegen offenbar gänzlich unter sich.
    Er sah aus den Augenwinkeln, dass die Katze unruhig zwischen Bugkorb und Ankerspill hin- und herlief.
    Nicht schwer, ihr Problem zu erraten.
    Johannes seufzte. Er musste sich etwas einfallen lassen, sonst stand ein Malheur bevor. Ein passendes Behältnis musste her.
    Ein Pappkarton aus der Bilge!
    Als er das Bodenbrett herausnahm, blickte er in eine Pfütze aus Rotwein, vermischt mit etwas Seewasser, das sich während der wilden Fahrt hier, an der tiefsten Stelle des Bootes, angesammelt hatte. Vorsichtig fischte er die Scherben der zerbrochenen Weinflasche heraus. Ein Karton war fast trocken geblieben. Den füllte er mit Schnipseln von Zeitungen, die im Salon herumlagen, und trug ihn nach oben an Deck.
    Bei seiner Annäherung wich die Katze verschreckt zurück und machte Anstalten, ins Wasser zu springen. Das schien ihr aber noch mehr Angst einzujagen

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