Die Narben der Hoelle
als seine Nähe, und so presste sie sich zitternd an den Bugkorb.
Johannes hoffte inständig, dass sie die provisorische Toilette annahm. An die Alternative mochte er nicht so gern denken.
Langsam ließ er seinen Blick einmal rund um das Boot kreisen, sah die Insel, das Wasser, das kleine verfallene Badehäuschen über der warmen Quelle drüben am Festland und ganz fern im Nordosten die ersten kleinen Häuser des Dorfes Bademli.
Vor vielen Jahren war er schon einmal hier gewesen – einer von acht fröhlichen Münchener Studenten auf einem Chartertörn im Frühling. Die wilden Mandelbäume auf der Insel Kalem und auf dem Festland hatten noch in Blüte gestanden.
Jetzt im September war von den Mandelblüten nichts mehr zu riechen. Sie waren längst vertrocknet.
Ihren Duft hatte er dennoch immer noch in der Nase.
Gewiss, dieser Ankerplatz hatte ihm damals besonders gut gefallen, doch solche kannte er viele. Und so hatte er nie wieder an diesen Ort gedacht.
Aber in der Uniklinik in Freiburg, auf einer der virtuellen Reisen zu sich selbst, die seine Ärztin Karen Terhoven mit ihm unternommen hatte, waren sie plötzlich in dieser Bucht gelandet.
Und er hatte sofort gewusst, dass er noch einmal hierher wollte …
5
September
Türkei
Das Monster hatte Langeweile.
Ohne Vorwarnung sprang es ihn an. »Du darfst die Tabletten nicht absetzen, auch wenn du dich längere Zeit gut fühlst«, hatte Karen ihm vor dem Abflug eingeschärft. »Die Panikattacken können jederzeit ganz plötzlich wieder auftauchen!«
Seine Bauchmuskeln krampften sich in der Erwartung des wohlbekannten Tritts zusammen. Rasch stand er auf und hastete zum Niedergang.
Drei Tage hatte er nun die elenden Pillen nicht mehr genommen, drei Tage gehofft, das Monster hätte ihn vielleicht vergessen.
Verdammt, er hätte es besser wissen müssen.
In der Vorschiffskajüte fand er schnell seine Tasche, kramte die Paroxat-Tabletten heraus, nahm sofort eine davon ein und ließ sich auf seine Koje sinken. Er versuchte, ganz regelmäßig zu atmen. Die Hitze in der engen Kajüte spürte er nicht. Er legte seine Hände flach auf Bauch und Brust. Seine Bauchmuskeln waren bretthart gespannt.
»Ganz ruhig bleiben«, murmelte er sein übliches Mantra vor sich hin. »Tief durchatmen … Du hast das nicht getan! Du kannst so etwas gar nicht tun, egal was sie sagen … Los, erinnere dich, verdammt, erinnere dich endlich … «
Es schien wieder einmal eine Ewigkeit zu dauern, bis sich ganz langsam die verspannten Bauchmuskeln lösten und er ruhiger atmete. » … hast das nicht getan, niemals … Erinnere dich endlich … «
Als er wieder erwachte, hatte die starke Droge ihre Wirkung voll entfaltet. Aber er war durchgeschwitzt und sehnte sich nach einem Bad im Meer.
Rasch angelte er Taucherbrille, Schnorchel und ein Paar Flossen aus der Backskiste, klappte die Badeleiter am Heck herunter und sprang vom Deck in das klare Wasser.
Mit ruhigen Beinschlägen schwamm er los.
Zunächst warf er einen Blick zum Anker und sah, dass der sich gut eingegraben hatte. Die Ankerkette lag in leichten Bögen sauber auf dem Grund. Der Meeresboden war hier mit hellem Sand bedeckt, stellenweise mit Seegras bewachsen, in dem sich unzählige kleine Fische tummelten.
Langsam schwamm Johannes um das Schiff herum und sah sich dabei den Rumpf an. Nach der langen Saison im Seewasser war er schon dick mit Muscheln bewachsen, vor allem der Kiel und das schlanke Ruderblatt.
Plötzlich fuhr er zusammen. Schallwellen rollten durch das Wasser heran.
Das Geräusch eines Schiffsmotors, in ziemlicher Entfernung. Ein tiefer, brummender Ton.
Nein, korrigierte Johannes sich, ein Außenborder. Und zwar ein gewaltiger.
Er tauchte auf und blickte in Richtung des Geräusches, konnte jedoch so knapp über dem Wasserspiegel nichts ausmachen. Hier oben war das sonore Dröhnen eines schweren Außenbordmotors unverkennbar. Aber schnell wurde es schwächer und verklang dann nach und nach.
Johannes schwamm zur Badeleiter.
Eine Erkundungsfahrt mit dem Dingi konnte nicht schaden. Außerdem musste er am Strand Sand holen, um der Katze ein vernünftiges Bordklo herrichten zu können.
Er stieg die Leiter hinauf und blickte in Richtung des Motorgeräusches, von dem jetzt nichts mehr zu hören war. In einiger Entfernung ragte eine Landspitze in die Bucht hinein. Aus der Karte wusste er, dass dahinter eine weitere kleine Bucht lag. Wahrscheinlich war das Boot dorthin verschwunden.
Er machte das Schlauchboot klar
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