Die Narben der Hoelle
Machtbereich berief der Fürst hierher ein. Vor jedem der Teilnehmer stand ein kleines Tischchen, das mit Teeglas und einem Teller mit Gosh Feel, den Elefantenohren, einem süßen, fettigen Gebäck, gedeckt war.
Abdul Kalakani blickte langsam im Kreis herum. Rechts neben ihm saß sein Sohn Sayed und links dessen siebzehnjähriger Bruder Nairn. Die übrigen sechs Männer in der Runde waren die wichtigsten Vertrauten des Warlords. Jeder trug Verantwortung für einen bestimmten Aufgabenbereich.
Dem Warlord direkt gegenüber saß mit undurchdringlicher Miene Oberst Jamal, der Kommandeur seiner Privatarmee, neben diesem der Verwalter der Ländereien, ein diplomierter Landwirt, der in den USA und Europa studiert hatte. Auch der Direktor der Fabrik war anwesend und ein einflussreicher alter Mullah.
Ein Sitzkissen war frei geblieben. Kalakani teilte seinen Getreuen mit, er erwarte in Kürze einen weiteren Teilnehmer. Eine Erklärung dazu hielt er für überflüssig. Und niemand wagte eine Frage.
Der Raum schien vor unterdrückter Spannung zu vibrieren. Jeder hier hatte schon von dem Zusammenstoß zwischen Jamal und dem Fürsten im Truppenlager gehört.
Der Hausherr trank einen Schluck aus seinem Teeglas, setzte es ab und sah einmal in die Runde. Sein Blick blieb auf dem Führer seiner Truppen liegen. »Nun, Jamal, ich nehme an, du hast deine Maßnahmen getroffen, um die Disziplin meiner Kämpfer zu verbessern?«
Langsam hob der Angesprochene den Kopf. Ihm war nicht entgangen, dass Kalakani eine besondere Betonung auf das Wort ,meiner’ gelegt hatte. Er blickte seinem Fürsten fest in die Augen und sagte: »Selbstverständlich ist der Mann für seinen Fehler bestraft worden, verehrter Abdul.« Dann straffte er sich und erklärte mit großer Bestimmtheit: »Durch seine … äh … Nachlässigkeit war die Sicherheit des Lagers aber nie gefährdet. In keiner Weise!«
»Aha. Hör mir zu: Wenn wir etwas von den Soldaten der Ungläubigen lernen können, dann ist es Disziplin«, antwortete der Warlord herausfordernd. »Die würden ihre Camps nicht einmal eine Minute unbewacht lassen, oder, Jamal?«
»Meine Leute sind nicht undiszipliniert! Es ist nicht gerecht von dir, den Kämpfern so etwas zu unterstellen – und mir!« Jamal schrie diese Anklage so wütend heraus, dass die Männer im Raum betreten ihre Blicke senkten.
Nach einer langen Pause, in der die ehemaligen Kampfgefährten sich schweigend in die Augen sahen, knurrte der Warlord unwillig: »Ich habe keine Zeit, mit dir zu streiten. Wir haben andere Probleme.« Damit nahm er ein Stück von dem klebrigen Gebäck und schob es sich in den Mund.
Jamal, durch das unerwartete Einlenken des Fürsten zum Nachsetzen animiert, schlug sich mit einer theatralischen Geste an die Brust und rief: »Wir werden diese Probleme lösen, Abdul! Auf deine Kämpfer kannst du dich verlassen!«
» In’shallah « , murmelte Kalakani vieldeutig und wandte sich seinem älteren Sohn zu, einem schlanken, hochgewachsenen fünfundzwanzigjährigen Mann, der die klaren Gesichtszüge seines Vaters geerbt hatte. »Sayed, trag vor, was du zu sagen hast!«
Der junge Mann stand auf und trat an eine Landkarte des Gebietes im nördlichen Grenzland, die an der Wand hing. Sein Bruder hatte inzwischen ebenfalls seinen Platz verlassen und zwei Lampen angeschaltet, die jetzt direkt auf die Karte schienen.
Sayed blickte furchtlos in die Runde der allesamt viel älteren Männer und sagte ohne Umschweife: »Wir müssen eine große Gefahr abwenden, die uns alle bedroht.«
Unbeeindruckt vom vielstimmigen Gemurmel, das sich sofort erhob, nahm er einen Stock zur Hand und deutete auf einen Ort auf der Karte, ungefähr hundert Kilometer entfernt in den Ausläufern des Hindukusch-Gebirges. »Jalani-Kalay. Ihr alle kennt dieses Dorf. Wie ihr wisst, hat es uns ungeheuere Mühe gemacht, die neuen Maschinen an den Soldaten der Ungläubigen vorbei dorthin zu schaffen. Nun ist alles aufgebaut, und die Produktion kann beginnen.« Fragend wandte er sich an den landwirtschaftlichen Verwalter: »Soweit ich weiß, Habib, wird die Ernte diesmal besonders reich ausfallen?«
»Wir werden den Ertrag wegen des guten Wetters fast verdoppeln können«, kam prompt die stolze Erwiderung.
Sayed wandte sich an die anderen Männer: »Da ihr nicht alle mit der neuen Fabrik vertraut seid, hat Mokhtar ein paar Fotos gemacht. Er zeigt sie euch jetzt einmal, damit ihr seht, was wir dort geschaffen haben.«
Der Fabrikchef stand auf und
Weitere Kostenlose Bücher