Die Narben der Hoelle
Außerdem dürften sie sowieso nichts gegen Lager oder Fabriken unternehmen. Die dürfen ja nur handeln, wenn sie direkt bedroht werden. Und auch dann müssen sie erst mal in die Luft schießen«, setzte er höhnisch hinzu.
»,Einsatzgrundsätze’ nennen sie das«, wusste Jamal. »An die müssen sie sich halten, sonst bekommen sie Ärger mit ihren Politikern zu Hause. Kann man sich so etwas vorstellen?« Er schüttelte den Kopf und griff nach einem Gebäckstück.
Kalakanis Stimme schnitt durch den Raum: »Erstens: Die ganze Welt will unsere Ware. Zweitens: Unsere Bauern leben von ihrem Anbau. Das sind die Tatsachen. Aber wir sollen stattdessen Rosen pflanzen, um Parfümöl oder anderen Mist zu produzieren, wenn es nach den Ungläubigen geht. So werden die Menschen bei uns nicht überleben können, das wisst ihr alle.« Er sah jeden in der Runde der Reihe nach an. »Vergesst auch nicht, dass wir wegen des Aufbaus der neuen Produktionsanlagen noch sehr viel Rohware aus der letzten Saison in den Lagern herumliegen haben. Die müssen wir unbedingt vor Beginn der neuen Ernte verarbeiten.«
Es klopfte, und sofort danach öffnete sich die Tür. Hashmat betrat den Raum, ging auf Kalakani zu, verneigte sich vor ihm und sagte: » Salamaleykum, verehrter Abdul. Ich melde mich zur Stelle, wie du befohlen hast. Deinen Auftrag habe ich ausgeführt.«
Der Warlord fragte: »Hast du die Informationen?«
»Ja, aber leider keine guten.«
Kalakani nickte grimmig und warf einen kurzen Blick auf Jamal. Sofort sah er seine Vermutung bestätigt: Dem alten Kämpfer ging es ersichtlich gegen den Strich, dass sein Chef dem Leibwächter einen Sonderauftrag erteilt hatte. Seine mürrische Miene sprach Bände.
»Also, Hashmat, berichte, was du herausgefunden hast«, forderte Kalakani.
»Ich habe mich außerhalb des Camps der Deutschen mit Hedayat getroffen«, begann der Leibwächter. »Er spricht ihre Sprache, weil er ein paar Jahre in Deutschland war, und ist Übersetzer bei ihnen. Außerdem kann er Englisch. Daher holen sie ihn oft in ihre Operationszentrale; sie brauchen ihn für ihre Konferenzen mit der afghanischen Armee oder mit unserer so genannten Polizei.«
Allgemeine Heiterkeit machte sich breit, als das Wort Polizei fiel. Es war offensichtlich, welchen Stellenwert man hier den einheimischen Sicherheitskräften beimaß.
Kalakani hob die Hand, um Ruhe herzustellen. »Weiter, Hashmat!«
»Ich habe Hedayat gefragt, ob tatsächlich demnächst auch Amerikaner hierher in unser Gebiet geschickt werden.«
Jetzt war dem Leibwächter die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher. Nach vorn gebeugt, lauschten sie ihm gespannt. Er fuhr fort: »Das hat er bestätigt. Die deutschen Soldaten dürfen nur noch zivile Projekte schützen. Bald sollen sogar ihre Kampftruppen ganz abgezogen werden. Dafür aber kommen dreitausend Amerikaner hierher! Und die dürfen ganz andere Sachen machen als die Deutschen. Die sollen nicht nur die Taliban angreifen, sondern auch gegen das vorgehen, was sie ,Drogenhandel’ nennen … «
»Das alles hat Hedayat erfahren? Ist das sicher?«, fragte der Mullah entgeistert.
»Es stimmt mit dem überein, was im Internet steht!«, bestätigte Sayed erbittert. »Die Amerikaner werden hier bei uns genau dieselben Verbrechen begehen wie schon in den südlichen und östlichen Provinzen. Sie werden uns mit ihren Kampfhubschraubern angreifen, mit ihren Jets bombardieren, werden alles in Brand stecken, was ihnen ,verdächtig’ vorkommt! Und hinterher sagen sie, sie hätten doch nur die Taliban gejagt.«
Kalakani blickte in die Runde. »Vielleicht sollten wir uns ein paar Ablenkungsmanöver überlegen, was haltet ihr davon?«
»Ablenkungsmanöver? Wie sollen die denn aussehen?«, fragte Jamal misstrauisch.
Der Warlord nickte Sayed zu. Der sagte: »Wir müssen verhindern, dass die Ungläubigen sich für Jalani-Kalay interessieren, sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Amerikaner mit allem, was sie haben, die ganze Gegend dort förmlich umpflügen. Sie würden unsere Fabrik finden. Und in die Luft jagen.«
Der Warlord stand auf und ging hinüber zur Wandkarte.
»Mein Plan ist, dass wir ein paar ,Taliban-Nester’, wie die Besatzer das nennen, erfinden!« Er deutete auf verschiedene Punkte in den Bergen. »Hier oben richten wir Stellungen ein – Jamal mit unseren und Dawud mit seinen Leuten. Von dort gehen alle Aktionen aus, immer an wechselnden Orten. Unsere Feinde werden mehrere Widerstandsnester
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