Die Narben der Hoelle
stations, all stations, this is Turkish coast guard. Who was calling Turkish coast guard … «, tönte es wiederholt aus dem Lautsprecher des Funkgerätes.
Dann knallte es auch schon wieder.
Irgendwo im Vorschiff das Splittern von Holz, gefolgt von einem kläglichen Miauen.
Die schießen mir das Schiff zusammen, dachte Johannes verzweifelt.
Wo waren sie? Er musste unbedingt herausfinden, von wo aus sie schössen. Und dann so schnell wie möglich weg von hier! Er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen, allein und unbewaffnet.
Moment mal: Der Engländer auf dem Motorsegler musste den Lärm doch auch hören! Bestimmt war er schon nach dem ersten Schuss an Deck gegangen und hatte gesehen, dass auf der Akgül die Lichter gelöscht waren, dass hier irgendetwas vorging.
Vielleicht konnte er ihm ja zur Hilfe kommen?
Vorsichtig stand er auf und blickte aus einem der schmalen Kajütfenster hinüber in die Richtung, in der er den Motorsegler wusste.
Nichts zu sehen. Nur undurchdringliche Dunkelheit.
Wo war das warme Licht geblieben, das vorhin dort im Deckshaus gebrannt hatte? Hatte der Mann sofort sein Schiff verdunkelt, als er die Schüsse hörte?
Vielleicht kam er mit seinem Beiboot ja schon herübergerudert, um ihm zu helfen …
Verzweifelte Wünsche. Wahrscheinlich war der Engländer einfach auf seinem Schiff in Deckung gegangen. Verständlich bei der wilden Schießerei ganz in seiner Nähe. Konnte man ihm kaum verübeln, aber …
Eine eisige Klammer krallte sich plötzlich um Johannes’ Herz. Ein anderer Grund für die Verdunkelung des Motorseglers war viel eher wahrscheinlich. Wenn sie …
Wieder ein Knall.
Kein Einschlag im Rumpf diesmal, sondern ein lautes Jaulen, als das Projektil oben an Deck von irgendeinem Metallteil abprallte.
Das Handy! Hilfe rufen!
Unsinn. Wen konnte er anrufen, der ihm hier draußen kurzfristig zur Hilfe eilen konnte? Da gab es niemanden.
Wieder meldete sich die Küstenwache. Mit einem metallischen Klang, überlaut in der Stille und mit einem fürchterlichen türkischen Akzent kam die Stimme aus dem Lautsprecher: » All stations, all stations, who was calling Turkish coast guard … «
Geduckt schlich er zum Kartentisch und langte nach dem Mikrofon, das an seinem Spiralkabel vom Funkgerät bis fast auf den Boden herabhing.
Er musste es wenigstens versuchen. Vielleicht hatten sie ja ein Boot irgendwo ganz in der Nähe …
Leise und langsam begann er: » PAN PAN, PAN PAN, PAN PAN! Coast guard, coast guard, coast guard, this is an urgent emergency call from sailing yacht … «
Weiter kam er nicht.
Ein Schuss knallte, und sofort hörte er ein hässliches Splittern im Achterschiff.
»Verdammte Bande«, fluchte Johannes laut. »Wo steckt ihr?«
Hier unten im Salon konnte er natürlich kein Mündungsfeuer sehen.
Die Küstenwache konnte er vergessen. Wahrscheinlich wäre die Yacht schon zersiebt und er selbst tot, bis die hier in dieser abgelegenen Bucht einträfe.
Er musste so schnell wie möglich von Bord.
Schwimmen. Bis zum Ufer. Und sich dort verstecken.
Oder gab es noch eine andere Möglichkeit? Konnte er vielleicht mit dem Schiff fliehen?
Keine schlechte Idee. Aber erst herausfinden, wo die Schüsse herkamen!
Er musste hinauf. Und darauf warteten die Killer mit Sicherheit. Genau das wollten sie: Dass er sich an Deck zeigte.
Aber er hatte keine andere Wahl. Einfach hier unten im Schiff abzuwarten, bis sie alles zusammengeschossen hatten, war keine Lösung.
Leise drang ein schwaches Klagegeräusch aus der Vorschiffskajüte an seine Ohren.
Hoffentlich ist ihr nichts passiert, schoss es ihm durch den Kopf, und ein heftiger Adrenalinstoß durchfuhr ihn mit großer Wucht.
»Hab keine Angst! Wir kommen hier raus – mir fällt schon was ein … « Die Worte dröhnten ihm höhnisch in den Ohren.
Lächerliches, hohles Geschwätz.
Aber, so bizarr es auch war: Unvermittelt sah er Karens Gesicht vor sich und spürte ihre Lippen auf seinen. Der einzige Kuss, den sie sich je gegeben hatten.
»Nicht der letzte«, stieß er hervor, »nicht der letzte!«
Erfüllt von jäher, rätselhafter Zuversicht tastete er sich zur Niedergangstreppe und stieg entschlossen die Stufen hinauf.
8
April
Afghanistan
Je näher Oberst Jamal dem kleinen Dorf kam, desto schlechter wurde der Weg. Selbst mit dem Allradantrieb hatte sein Jeep schwer zu arbeiten, um sich im Schritttempo über die holprige Strecke zu quälen. Jamal störte das nicht. Noch stand die Sonne ziemlich hoch über den
Weitere Kostenlose Bücher