Die Narben der Hoelle
nichts anderes mehr in Jamals Leben. Und Hass, abgrundtief. Sehr bald würde er Abdul für dessen Niedertracht bestrafen. Nur dieser Gedanke beherrschte Jamal vom Erwachen bis zum Abendgebet.
Seit Jahren schon baute er eigene Verbindungen auf, machte eigene Geschäfte. Dazu hatte er sich der Mithilfe Mokhtars, des Leiters der Opiumfabrik, versichert. Nicht weiter schwierig – schließlich wusste er um dessen größte Schwäche: Mokhtar bediente sich zur Befriedigung seiner perversen Lüste der jungen Männer in der Fabrik. Jamal hatte ihn belauert, ihn in flagranti mit einem Arbeiter ertappt.
Junge Männer in Afghanistan mussten zwar sogar in der Armee damit rechnen, auf diese Weise belästigt zu werden. Jamal jedoch duldete das in seiner Truppe nicht. Es war wider den Koran, und er fand es ekelhaft.
Er wusste, dass Abdul Kalakani genauso dachte. Wären die Praktiken seines Fabrikleiters dem Warlord zu Ohren gekommen, hätte dieser ihn sofort töten lassen. Zu gefährlich, ihn einfach davonzujagen. Mokhtar war ein Geheimnisträger ersten Ranges, der sein Wissen in den Dienst des Warlords stellen musste. Oder sterben.
So war es ein Leichtes, den Fabrikchef davon zu überzeugen, seine Produktionsberichte ein wenig zu korrigieren. Ungefähr drei Prozent des Rohopiums zweigte Jamal für sich ab und lieferte es auf eigene Rechnung an seine Geschäftspartner im Ausland. Dazu brauchte er sein geheimes Büro, seine Basis in dem abgelegenen Dorf. In ständiger Gesellschaft der tellergroßen Kamelspinnen handelte er dort Liefermengen und Preise aus, besprach Termine und Transportplanungen mit seinen Abnehmern.
Ganz nebenbei war Jamal so zum reichen Mann geworden, doch nutzte er nur wenig Geld für sich.
Er brauchte es für seine Rache.
Ein eigenes Netzwerk von Beziehungen und Macht, mit dem er eines Tages Kalakani die Stirn bieten konnte. Dafür zahlte er jeden Preis. Und scheute keine Anstrengung.
Er hielt Kontakt zu Talibanführern, die aus ihren Bergfestungen bis aus Pakistan hierher zu ihm kamen. Solange er sie großzügig mit Dollars ausstattete, konnte er sich ihrer unverbrüchlichen Treue sicher sein. Auf die gleiche Weise hatte er auch schon Regierungsbeamte und Polizisten auf seine Seite gezogen.
Sein wichtigster Trumpf jedoch waren die Informationen, die er regelmäßig aus Camp Marmal, dem Hauptquartier der Besatzer hier im Norden, erhielt. Hedayat, ein einheimischer Übersetzer, der dort zu Konferenzen und Besprechungen herangezogen wurde, war Jamals Großneffe. Da die Ungläubigen wöchentlich neue Flugblätter herstellen ließen, hatte der.Sprachmittler’, wie das bei den Deutschen hieß, viel zu tun. Der Text wurde immer lange diskutiert, bevor er ihn übersetzen musste. So erfuhr er eine Menge über die Pläne und Absichten der Besatzer.
Mit einigen von ihnen hatte Hedayat inzwischen Freundschaft geschlossen. Seither war Jamal oft auch über die Einsatzpläne der Patrouillen im Bilde, kannte ihre Aufklärungsziele und die Routen, die sie fuhren.
Nützlicher Hedayat. Sogar manche gezielte Fehlinformation hatte er schon an die Kommandeure der Ungläubigen herangetragen …
Die ersten Lehmhütten des Dorfes kamen in Sicht. Noch aber war es nicht völlig dunkel.
Jamal blieb stehen, steckte sich eine seiner selbst gedrehten Zigaretten an und sog den Rauch tief ein.
Ja, sein Netzwerk funktionierte – alles war bereit.
Bald würde Kalakani erkennen, wie leichtsinnig er seinen alten Kameraden unterschätzt und gedemütigt hatte. Mit Allahs Hilfe würde der eitle Fürst schmerzlich erfahren, wer Jamal wirklich war, welche Macht er hatte.
Genussvoll sog er an seiner Zigarette und schloss kurz die Augen.
Herrliches Bild.
Er sah Kalakani zittern. Wie damals, als er, den russischen Granatsplitter in der Brust, mit dem Tode rang …
9 September
Türkei
Alles war ruhig, zu ruhig. Gellend still.
Auch die Küstenwache hatte ihren Funkverkehr wieder eingestellt, als sich nach dem unterbrochenen Notruf niemand mehr meldete.
Im Schutz der Dunkelheit hatte Johannes sich auf der Niedergangstreppe nach oben gehangelt, lag nun auf dem Cockpitboden und lauschte. Nichts war zu hören außer dem gleichförmigen Zirpen der Grillen, das von der Ziegeninsel herüberklang. Vorsichtig hob er den Kopf, um über das Cockpitsüll hinweg etwas sehen zu können. In der vollständigen Dunkelheit war sein Kopf hoffentlich nicht als Ziel auszumachen.
Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als dieses Risiko einzugehen.
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