Die Narben der Hoelle
Blick. Die Katze stand, nur einen halben Meter von ihm entfernt, sprungbereit vor der untersten Stufe der Niedergangstreppe und schaute ihn an. Schnell machte er das Licht wieder aus. So weit er hatte sehen können, war sie unverletzt.
»Bleib bloß hier unten«, sagte er zu ihr. »Wir sitzen voll in der Scheiße!«
Jetzt war es wieder völlig dunkel im Schiff. Kein Lichtstrahl kam mehr von oben.
Offenbar waren sie zu beschäftigt mit ihrem Ankermanöver, um den Suchscheinwerfer weiter ständig auf die Akgül zu richten.
Wozu auch? Sowieso nur noch ein paar Minuten, bis sie hier waren. Und an Bord kamen.
Und ihr Vorhaben zu Ende brachten.
Noch aber rasselte die Ankerkette, noch konnten sie nicht losfahren …
Johannes leuchtete mit der Taschenlampe zu der Stelle, an der sich vor kurzem noch das Funkgerät befunden hatte.
An einen Notruf war nun erst recht nicht mehr zu denken. Das Gerät war zerstört.
Fliehen, bloß weg hier! Flucht war im Moment alles, woran er denken konnte. Dabei wusste er genau, dass es dafür zu spät war – oder?
Vielleicht sollte er versuchen, ins Cockpit zu kriechen, den Motor anzulassen und das Schiff von ihnen fortzusteuern?
Aber der Anker der Akgül lag fünf Meter tiefer im Meeresgrund vergraben. Wie sollte er ihn bis zum Eintreffen der Verfolger hoch bekommen?
Kappen, einfach kappen! Vielleicht eine Möglichkeit: Die Ankertrosse, eine stabile Leine, an der die Kette hing, mit einem Messer durchschneiden. Dann wäre das Schiff frei.
Dazu aber müsste er aus dem Cockpit steigen, nach vorn laufen und …
Keine gute Idee. Immer wieder huschte nämlich in unregelmäßigen Abständen das Licht des Suchscheinwerfers kurz über den Kajütaufbau.
Er hätte ein erstklassiges Ziel abgegeben, da oben auf dem Deck. Gar nicht zu verfehlen.
Eigentlich hätten sie ihren Anker längst an Bord haben müssen, aber noch immer trug der schwache Nachtwind das Rasseln der Kette herüber. Ferne Stimmen waren auch zu hören. Sie riefen sich etwas zu.
Was zum Teufel machten die denn da?
Plötzlich stoppte das Rasseln. Dafür brüllte der starke Motor auf und das Kettengeräusch setzte wieder ein.
Aufschub.
Ein paar Minuten Schonfrist.
Offensichtlich bereitete denen da drüben ihr Anker Schwierigkeiten. Vielleicht hatte er sich hinter einem Felsen am Meeresgrund verhakt, oder die Kette hing irgendwo fest. Nun versuchten sie wohl gerade, das Eisen mit Motorkraft herauszubrechen.
Immer wieder gaben sie kurz Gas, dann rasselte es wieder, dann hörte Johannes wieder Stimmen. Immer lautere.
Sie verstanden nicht viel von Seemannschaft, so viel war klar. Unerfahrene Leute waren das, die mit dem schweren Schiff nicht umgehen konnten. Und wenn sie den Skipper ausgeschaltet hatten, dann konnte der ihnen jetzt auch nicht mehr helfen …
Auf jeden Fall hatten sie Probleme, ganz eindeutig.
»Mach was draus«, murmelte Johannes und dachte auf einmal an das gleichnamige Würfelspiel. Das Spiel, auf Englisch ,Liar’s Dice’, hatten sie im Camp am Hindukusch oft gespielt.
Plötzlich wusste er, was er zu tun hatte.
Er fand das Krokodil sofort wieder.
Als er im Hafen seine ausgeräumte Tasche im Stauraum unter der Vorschiffskoje gelagert hatte, war ihm dieses Kinderspielzeug dort aufgefallen.
Ein Schwimmtier, ein großes aufblasbares Krokodil.
Offenbar waren auch Kinder an Bord, wenn der Eigner mit seiner Akgül Segeltörns unternahm. Mehmet hatte zwar von einem älteren Herrn gesprochen, dem das Schiff gehörte. Aber vielleicht hatte der ja Enkel, die er manchmal auf einen kleinen Törn mitnahm.
Völlig egal, dieses Plastikvieh kam Johannes jetzt wie gerufen. Er brauchte nur eine Minute, um es prall aufzublasen. Dabei horchte er immer wieder auf die Geräusche, die vom Motorsegler herübertönten.
Noch schienen sie beschäftigt mit ihrem Manöver.
Mit der Taschenlampe im Mund, um die Hände frei zu haben, holte er aus dem Backofen alle Bleche und sammelte sämtliche Kissen und Decken aus dem Schiff ein. Die Bleche lehnte er hintereinander an die Rückenlehne der Salonbank, direkt in der Ecke zum Vorschiffsschott. Dazwischen stopfte er so viele Kissen und Decken wie möglich und stellte schließlich noch den großen flachen Werkzeugkasten aus Stahlblech hochkant davor, der unten im Kleiderschrank verstaut gewesen war.
Abenteuerliche Konstruktion. Vermutlich konnte sie auch nicht verhindern, dass die Bordwand von Projektilen durchbohrt wurde, wenn jemand auf seinen Dummy schoss …
Ein
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