Die Narben der Hoelle
ziemliches Risiko. Alles hier unten lag tief unter der Wasserlinie.
Er hatte keine Wahl. Im schlimmsten Fall – und wenn er die nächsten Minuten überhaupt überlebte – könnte er es ja mit dem Abdichtungsmaterial aus dem Leck-Reparaturset versuchen. Sinnlos, sich jetzt über Löcher im Schiff Gedanken zu machen.
Wichtiger war, dass er selbst nicht durchlöchert wurde.
Das Schwimmtier setzte er mit der hellen Unterseite nach vorn aufrecht auf die Salonbank, mit einer Seite angelehnt an das Schott, nach hinten abgestützt durch die abenteuerliche Kugelfang-Konstruktion. Unten legte er eine Decke herum, die den Schwanz und die Hinterbeine des aufgeblasenen Reptils verbarg. Nur der Leib, die abgespreizten Vorderbeine und die Unterseite des Kopfes waren noch zu sehen. Mit den Filzstiften aus dem Kartenschapp malte er schnell etwas auf den Unterkiefer des Krokodils, das entfernt einem menschlichen Gesicht ähnelte. Danach bekam das Gummitier ein dunkelblaues Baseballcap aufgesetzt, den Schirm so tief nach unten gezogen, dass von dem, Gesicht’ möglichst wenig zu sehen war.
Schließlich legte Johannes einen Pullover von vorn über den Dummy, damit auch die abstehenden Vorderfüße bedeckt waren.
Noch zu brav, das Ganze. Wer sollte darauf hereinfallen?
Blut fehlt, schoss ihm durch den Kopf.
Er hastete zur Kühlbox, fand nach kurzer Suche das Glas mit der Erdbeermarmelade und verteilte den Inhalt auf dem Pullover.
Mit ein paar Schritten war er vorn am Niedergang und stellte sich vor, er beträte mit einer Taschenlampe von hier den Salon. Langsam ging er in die Dunkelheit hinein und ließ den Lichtkegel durch den Raum hin und herwandern, als wollte er das Innere des Schiffes vorsichtig erkunden. Kaum war er an der Tür zur Nasszelle vorbei, fiel das Licht auf etwas, das tatsächlich fast so aussah wie eine in die Ecke gekauerte, schwer verletzte Person, die die Arme um sich geschlungen hatte.
Auch wenn das Ganze eher einer Vogelscheuche ähnelte.
Egal, es könnte klappen …
Plötzlich fiel ihm auf, dass das Kettengerassel aufgehört hatte. Die starke Maschine des Motorseglers grummelte nun mit niedriger Drehzahl, ganz allmählich näher kommend.
Sie waren unterwegs.
12
April
Afghanistan
Die Morgensonne beleuchtete die Gipfel des Marmal-Gebirges. Johannes sah das schroffe Felsenpanorama langsam unter dem Bundeswehr-Airbus verschwinden, als dieser auf den Kurs zum Endanflug drehte.
Erst im letzten Jahr hatte der Flugplatz von Mazar-i-Sharif, der ,edlen Grabstätte’, einer der heiligen Städte des Islams, eine moderne Start- und Landebahn bekommen. Auf der neuen Piste konnten nun sogar Großraumflugzeuge starten und landen. Ein Fortschritt für die Versorgung der ISAF-Kräfte im Norden Afghanistans. Jetzt war es möglich, die Truppenkontingente aus Deutschland direkt hierher zu fliegen.
Zurück in Afghanistan.
Was erwartete ihn diesmal?
Sein Briefing beim Einsatzführungskommando in Potsdam kam ihm wieder in den Sinn. Kurz ausgedrückt würde er Einsätze mit den Amerikanern durchführen, die offiziell gar nicht stattfinden durften.
Diskretion. So lautete das Zauberwort.
»Die Bevölkerung darf nicht verunsichert werden«, hatte der General gesagt.
Deutsche Soldaten gemeinsam mit amerikanischen Truppenteilen in operativen Einsätzen. Offiziell kein deutscher Kampfeinsatz. Den gab es ja nach dem ,Strategiewechsel’ der Bundesregierung künftig nicht mehr …
Die Maschine schwebte mit gedrosselten Triebwerken auf die Landebahn zu. Schon waren Einzelheiten auf dem Flugplatz zu erkennen: Eine Transportmaschine, die gerade abgefertigt wurde, Fahrzeuge und Menschen, die herumliefen.
Was kam da auf ihn zu? Konnte das überhaupt gut gehen? Für Deutsche und Amerikaner galten hier in Afghanistan ganz unterschiedliche Einsatzregeln.
Mit einem gequälten Kreischen der Räder setzte die schwere Maschine hart auf der Landebahn auf. Kurz darauf rollte der Airbus zum militärischen Teil des Flugplatzes, der bereits zum Camp Marmal gehörte.
Johannes blickte aus dem Fenster über das riesige Gelände des Camps in der Ferne.
In Reih und Glied stehende Baracken und Wohncontainer. Überdachte Wachtürme auf den Mauerecken der hohen Umzäunung. Überall Fahrzeuge auf den freien Flächen.
Hochmodernes Kriegslager.
Goldrot strahlte die tief stehende Sonne auf das markante Wirtschaftsgebäude mit seiner Fassade aus Betonsäulen.
Er war wieder hier.
*
Zufrieden grinsend setzte Jamal das Fernglas ab, mit dem er
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