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Die Narben der Hoelle

Die Narben der Hoelle

Titel: Die Narben der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Dieter Neumann
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zittern, und die Bauchmuskeln verkrampften sich. Dann dauerte es nicht lange, und es fühlte sich an, als träte ihm jemand mit großer Kraft in den Magen. Das Angstgefühl wurde übermächtig, ein erniedrigendes Gefühl.
    Panik. Einmal überfiel sie ihn im Badezimmer. Er ließ sich auf den Toilettendeckel fallen und konnte so im Wandspiegel gegenüber das hilflos zitternde, schmerzverkrümmte Bündel Mensch mit den angstvoll aufgerissenen Augen betrachten.
    Und weinte.
    »Sie wissen selbst, was das ist, und woher das kommt!«, sagte Dr. Terhoven später zu ihm. »Vielleicht könnte-ich Ihnen dazu ein paar Fachbegriffe nennen, die Sie beeindrucken. Aber das will ich nicht. Hier sind Sie gefragt. Entspannen Sie sich und lassen Sie uns auf eine Reise gehen … «
    Sie hatte recht. Er wusste selbst, dass diese Panikattacken eine Reaktion auf seine Verzweiflung über die Amnesie war.
    Und sagte es ihr.
    »Das ist sicher ein bedeutender Teil der Wahrheit«, sagte Dr. Terhoven, »aber ist es der einzige?«
    In der Bibliothek des Uniklinikums fand er ein paar medizinische Fachbücher. Als die Ärztin wieder einmal bei ihm war, sagte er forsch zu ihr: »Also, wenn ich es richtig verstanden habe, dann liegt die Ursache der Attacken in der reaktiven Depression, die ich habe. Weil ich nicht damit fertig werde, mich vielleicht nie erinnern zu können … «
    Sie schaute ihn aufmerksam an. Dann hakte sie nach: »Sind Sie sicher, dass nicht noch mehr dahinter steckt?«
    Sie ließ sich also nicht täuschen …
    Er wusste, worauf sie hinauswollte. Und er sah ihr an, dass sie wusste, dass er es wusste.
    Behutsam sagte sie: »Sprechen Sie es einfach aus! Es tut weh, aber es ist wichtig, glauben Sie mir!«
    Endlich wagte er es zu sagen. »Ich glaube, das Schlimmste ist, dass ich mich damit abfinden muss, die Kinder tatsächlich getötet zu haben, aus welchen Gründen auch immer. Alles spricht dafür … «
    »Ja, reden Sie bitte weiter!«
    »Ich habe bisher von mir gedacht, dass ich so etwas niemals tun könnte. Und nun … « Er hielt einen Moment inne und atmete tief durch. »Und nun sehe ich einen anderen Menschen, wenn ich beim Rasieren in den Spiegel schaue. Ich hätte früher darauf geschworen, dass ich lieber selbst sterben würde, als Kinder zu töten. Jetzt ist da dieser Verdacht, dass ich mich gar nicht gekannt habe, dass etwas ganz … Furchtbares in mir ist.«
    Er stieß seinen Stuhl zurück, sprang auf und trat ans Fenster. Minutenlang war es so still im Zimmer, als wäre er allein.
    Als er sich langsam umdrehte, lag ein tiefgründiges Lächeln auf Dr. Terhovens Gesicht, und sie sagte leise: »Ich bin beeindruckt!«
    Neben den regelmäßigen Sitzungen mit der Ärztin musste er seine Medikamente einnehmen. Genauso regelmäßig. Ganz allmählich setzte man schrittweise die Dosierung herab.
    Doch das Monster lag stets auf der Lauer. Einmal ,vergaß’ er seine Tabletten zwei Tage lang – ein Test. Sofort kam es aus seiner Deckung und schlug zu.
    Trat zu, um genau zu sein.
    Reumütig achtete er seither auf pünktliche Chemiezufuhr.
    Die einzigen Lichtblicke in diesen tristen Tagen waren die Sitzungen mit Dr. Karen Terhoven. Er freute sich auf jede davon, und die Stunden dehnten sich endlos, bis sie zur Tür hereinkam.
    Auf einer ihrer ,Reisen’ landeten sie in einer Bucht in der türkischen Ägäis. Johannes roch den süßen Duft von Mandelblüten. Mehr noch: Mit geradezu fotografischer Genauigkeit stand ihm jede Einzelheit der Bucht vor Augen.
    Sofort erkannte er sie wieder.
    Hier war er schon einmal gewesen, früher. Er hatte nicht geahnt, dass dieser Ort sich offenbar tief in seinem Unterbewusstsein verankert hatte. Erstaunt roch er wieder die salzige Seeluft und die würzigen Aromen der unterschiedlichen Kräuter.
    »Weißt du was«, sagte er zu seiner Ärztin, »sobald du mich hier rauslässt, segle ich noch einmal da hin!«
    Beides rutschte ihm einfach so heraus, sowohl dieser Gedanke, als auch das ,Du’. Sofort sah er sie schuldbewusst an. »Entschuldigen Sie bitte, Frau Doktor. Ich weiß nicht, wie ich … «
    »Ich finde das eine prima Idee«, unterbrach sie ihn unbefangen. »Bleiben wir doch dabei. Macht vieles einfacher. Einverstanden?«
    »Natürlich. Ich freue mich sehr. Allerdings … «
    »Ja?«
    »Es ist zwar schön, dass wir uns jetzt duzen, aber Sie … , äh, du weißt so viel über mich und ich gar nichts von dir.«
    Wieder einmal huschte diese leichte Röte fast unmerklich über ihr Gesicht, und sie

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