Die Narben der Hoelle
allein«, sagte Paule. Und meinte damit vermutlich, dass er genau vom Gegenteil überzeugt war.
»Mach dir keine Sorgen. Außerdem gehört das sozusagen zur Therapie! Karen hat … , äh, die Ärztin … «
Schallendes Gelächter kam vom Fahrersitz. »Für wie doof hältst du mich eigentlich, Jo? Deine Augen … , was sage ich, der ganze Kerl strahlt wie ein Honigkuchenpferd, wenn er diesen Namen in den Mund nimmt.«
Darauf erwiderte Johannes lieber nichts. Nach einer längeren Pause, in der sich Paule auf das Fahren konzentrierte, hörte Johannes ihn sagen: »Ich freu mich für dich! Mach etwas daraus und vor allem: Versau es nicht … «
» … wieder«, ergänzte Johannes ernsthaft.
Paule grinste.
»Hör mal«, sagte Johannes, »ein Detail treibt mich noch um. Du hast gesagt, da wären drei Kinder in der Höhle gewesen. Aber nur zwei waren da, als Jim Woods am Schauplatz eingetroffen ist. Und die waren tot. Was ist denn mit dem dritten passiert? Weißt du das?«
»Ja, das hab ich nämlich die Kommission auch gefragt, weil mir das keine Ruhe ließ: Der dritte Junge konnte wohl fliehen. Jedenfalls haben die Amis ihn in Empfang genommen, als er bei der Siedlung herausgerannt kam.«
Da stimmte doch etwas nicht.
Johannes überlegte eine Weile und hakte dann nach: »Hat man denn diesen Jungen nicht befragt, wer seine Freunde erschossen hat? Verdammt, das wäre doch endlich ein Augenzeuge … «
»Das hat man versucht, Jo. Aber der sagt nichts.«
Johannes war fassungslos. »Der sagt nichts? Der ist doch noch ein Kind! Der kann doch nicht so abgebrüht sein, dass er eisern schweigt … «
»Nein, das nicht«, gab Paule zurück und starrte plötzlich angestrengt auf die Fahrbahn. »Aber er ist … stumm.«
»Er ist … «
»Ja, wohl auch, äh, ein … psychisches Problem. Bis man ihn nach zwei Tagen seinen Eltern übergeben hat, hat er kein einziges Wort gesprochen.«
*
Noch ein Traumatisierter, ging es Johannes durch den Kopf, als er vom Einkaufen zurückkehrte und in seine Wohnung trat. Immer wieder, seit er zu Hause war, musste er an den kleinen afghanischen Jungen denken.
Er seufzte und hängte den Schlüssel an den Haken hinter der Tür.
Da sah er es: Das Bild war weg.
Im Flur hatte ein Foto gehangen, auf dem er am Ruderrad einer X-Yacht stand. Corinna hatte es im letzten Jahr auf einem Kurztörn auf der Ostsee gemacht.
Das Foto war verschwunden. Mitsamt dem Glasrahmen. Dort, wo er es vor einem Jahr aufgehängt hatte, war nun eine helle Stelle auf der Tapete.
Er war sich ziemlich sicher: Als er vor vier Tagen nach all den Monaten endlich wieder nach Hause kam, war es noch an seinem Platz gewesen – direkt neben dem Schlüsselbord.
Oder doch nicht?
Jedenfalls fiel ihm der leere Fleck jetzt erst auf.
Rasch brachte er die Einkaufstüten in die Küche und verstaute ein paar Sachen im Kühlschrank, dann ging er nachdenklich ins Wohnzimmer.
Sein Blick fiel auf den Couchtisch, und er stutzte.
Irgendetwas war auch mit seinen Flugtickets passiert. Er war sich sicher, sie wieder in ihre rote Papphülle gesteckt zu haben, nachdem er sie sich noch einmal angesehen hatte. Voll Vorfreude.
Nun lagen sie neben der Mappe mit dem Aufdruck Turkish Airlines auf dem Tisch. Er nahm sie in die Hand.
Hinflug nach Izmir morgen früh ab Stuttgart, 10:35 Uhr. Rückflug in drei Wochen. Alles okay. Die Tickets hatte er vorgestern aus dem Reisebüro hier im Ort abgeholt, wo er sie noch von Freiburg aus telefonisch bestellt hatte. Eine Yacht war auch schon reserviert. Mehmet hatte ganze Arbeit geleistet.
Er schüttelte unwillig den Kopf. Hab ich sie eben doch nicht in die Pappmappe getan …
Aber das Bild, was war mit dem Bild? Er wanderte durch die Wohnung und grübelte.
War hier etwa jemand eingedrungen? Einbruchsspuren sah er jedenfalls keine, weder an der Wohnungs- noch an der Balkontür.
Welch einen Unsinn dachte er sich denn nun schon wieder aus? Er musste sich zusammenreißen. Wer sollte Interesse an dem albernen Foto haben, wer sollte sich für seine Tickets interessieren?
Der Kopfschuss hatte wohl mehr aus dem Takt gebracht als nur die Zahnrädchen …
»Junge, vergiss den Blödsinn und sieh zu, dass du deine Sachen packst«, murmelte er vor sich hin.
Die Weste, schoss es ihm durch den Kopf. Er durfte seine automatische Rettungsweste nicht vergessen. Und die Seestiefel. Auch sonst war noch einiges einzupacken.
Immerhin drei Wochen!
Er würde die beiden großen Reisetaschen brauchen
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