Die Narben der Hoelle
Gemütskranker könnte leicht auf die Idee verfallen, mal ein paar Telefonate zu führen. Und man könnte ihn ja auch gar nicht dafür belangen. Er ist eben nicht ganz bei Trost; das ist sogar von einem veritablen Oberstarzt attestiert worden!«
Er musste sich am Tisch festhalten, so unerträglich waren die Schmerzen jetzt, und ließ sich wieder in den Stuhl fallen. Leise fuhr er fort: »Und wenn der Irre dann auch noch aus lauter Einsamkeit Kontakt zu einer Zeitung aufnimmt … «
Der Geheimdienstler stand regungslos da und schaute ihn nur an.
Johannes verzog sein Gesicht zu einer grinsenden Fratze und stieß ein paar gutturale Laute aus, bei denen der Plastikanzug raschelnd zurückzuckte. »Na ja, was kann man da schon machen? Wir Verrückten kommen auf alle möglichen Ideen, nicht wahr, Herr Oberst? Und man kann uns mit gar nichts drohen! Wir sind überhaupt nicht verantwortlich zu machen für das, was wir in unserem psychischen Ausnahmezustand so alles anstellen … «
Nach einigen Augenblicken eisigen Schweigens wandte sich Heidebrandt zur Tür und sagte, ohne sich umzudrehen, im Hinausgehen: »Sie bekommen in einer Woche einen Auszug. Aber ich kann Sie nur warnen!«
Ein paar Tage später studierte Johannes den Bericht Zeile für Zeile. Dabei versuchte er, irgendetwas von dem, was er da las, vor seinem geistigen Auge wiedererstehen zu lassen.
Es wollte ihm nicht gelingen.
Immer wieder musste er sich einschärfen, dass da von ihm die Rede war. Ganz und gar unglaublich, was dort über ihn geschrieben stand. Die wichtigsten Sätze kannte er schon fast auswendig:
… steht fest, dass Hauptmann C. aus seiner Deckung gesprungen ist und mit seiner MP 7 das Feuer eröffnet hat … Da mindestens einer der Aufständischen auf die fliehenden Geiseln schoss, war Hauptmann C. gezwungen, seinerseits auf diesen zu schießen … Als der zweite Einsatztrupp nach Gefechten mit den Aufständischen auf dem Schauplatz eintraf, wurde er von einem weiteren Aufständischen, ca. 55 Jahre alt, unter Feuer genommen. Der Führer des zweiten Trupps erschoss den Aufständischen in Selbstverteidigung. Anschließend stellte er Folgendes fest (Beweis: Aussageprotokoll, Anlage 6):
Hauptmann C. lag bewusstlos vor einem Felsvorsprung. Sem rechter Arm lag auf seiner MP 7. Sein Schutzhelm war stark beschädigt (Zersplitterungen).
2. Die Leichen von zwei afghanischen Kindern, männlich, ca. 10 Jahre alt, lagen in der Höhle. Man stellte noch vor Ort den Tod durch mehrere Schussverletzungen fest.
3. Ein toter Aufständischer, ca. 25 Jahre alt, lag in der Mitte der Höhle. Man stellte bei ihm einen Kopfschuss fest.
4. Ein schwer verwundeter Aufständischer, ebenfalls ca. 25 Jahre alt, lag neben dem getöteten und wurde von (geschwärzt) erstversorgt. Als er später vom Sanitätstrupp der (geschwärzt) abgeborgen werden sollte, war er jedoch verschwunden und blieb unauffindbar …
Interessant waren die Schwärzungen. Bei seinem Namen hatte ja wenigstens der Anfangsbuchstabe überlebt.
Listig war vor allem das ,man’.
Johannes hatte nichts anderes erwartet.
Dieser ,Bericht’ bot keinerlei Hinweise darauf, dass neben der Bundeswehr irgendjemand sonst an der Aktion mitgewirkt hatte.
»Perfekt gemacht, Herr Oberst«, flüsterte Johannes. Wie magisch angezogen, fiel sein Blick auf den schlimmsten Absatz:
… steht auf Grund der ballistischen Untersuchungen (Anl. 9) und der pathologischen Befunde fest, dass die Projektile in den Leichen der beiden Kinder aus der Waffe des Hauptmann C.,s, MP 7, Reg.Nr. (geschwärzt), abgefeuert wurden. Dasselbe trifft auf die Munition zu, die aus dem Körper des getöteten ca. 25 Jahre alten Aufständischen entfernt werden konnte …
Er musste das so schlucken. Die Untersuchungsergebnisse waren eindeutig, ob ihm das nun gefiel oder nicht.
Es war ungeheuerlich, und doch angeblich nur ein bedauerlicher Kollateralschaden’. Den er angerichtet hatte.
Und von dem er nichts wusste.
»Möchten Sie mit mir noch einmal über Ihren Traum sprechen?«, fragte Frau Dr. Terhoven ihn. Sie saßen beide am Tisch in seinem Zimmer, eine Thermoskanne mit frischem Kaffee darauf, ebenso eine Schale mit Schokoladenkeksen.
»Darf ich Ihnen einen Kaffee einschenken, Frau Doktor?«, fragte Johannes, und sie lächelte.
Es gefiel ihm, wenn sie lächelte. Er fand, sie sah besonders gut aus, wenn sie lächelte. Eigentlich sah sie immer verdammt gut aus. Wenn sie lächelte, sogar umwerfend. Er schaute sie sehr gern an.
Sogar,
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