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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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befreien. Danach wurde die Säuberung der Haare an den Enden des Schnurrbarts vorgenommen. Diese reinigte Nechyba mit einem angefeuchteten Serviettenende. Danach brachte er sie wieder in ihre angestammte Position – nach oben aufgezwirbelt und eingerollt. Als dies vollbracht war, lehnte sich Joseph Maria Nechyba mit einem Seufzer der Erleichterung zurück und erlaubte sich eine donnernde Flatulenz 32 . Nun griff er zu seiner Packung Virginier, fischte eine der Zigarren heraus und zündete sie an. Als die Virginier so richtig durchzog, machte er einen zufriedenen Schnaufer und verlagerte seine wuchtige Figur auf das Sofa, das vis-à-vis der beiden Zimmerfenster an der Wand stand. Neben diesem Sofa stand auch ein kleines, dreibeiniges Tischerl, auf dem alles Mögliche herumlag.
    Joseph Maria Nechyba erging sich in Kontemplation. Mit glasig starrem Blick und glosender Virginier versuchte sein Geist, elysische Gefilde zu durchstreifen. Doch heute wollte es ihm nicht so richtig gelingen. Da war etwas, das wie ein gewaltiger Anker das Schiff seiner Imagination festhielt. Der Inspector mochte noch so grimmig an seiner Virginier ziehen, der Höhenflug der Gedanken war ihm verwehrt. Sich mit diesem Faktum abfindend, tastete er über die Oberfläche des dreibeinigen Tischchens, bis er die Ursache seiner Irritation in den Finger hielt. Mit einer trägen Bewegung des Daumens faltete er den Brief auf und blickte mit Wohlgefallen auf die sehr feminine, sehr geradlinige und sehr energische Handschrift. Gleichzeitig erschien vor seinem geistigen Auge Mizzi, die ihm dieses Schriftstück überbracht hatte. Ein wohlerzogenes Kind, das einen etwas eingeschüchterten Eindruck machte. Wenn dieses Mädel die Küchenhilfe der energisch schreibenden Aurelia Litzelsberger war, dann war klar, dass sie sich nicht so frech und unverschämt wie viele andere Dienstboten verhalten hatte. Je länger Joseph Maria Nechyba über der Litzelsberger’schen Handschrift brütete, desto klarer formte sich vor ihm ein Bild ihrer Person: groß, kräftig, zupackend. Wahrscheinlich mit reschem Wiener Charme ausgestattet und mit einem Mundwerk versehen, das – falls notwendig – jedes Naschmarktweib vor Scham erblassen ließ.
    Andererseits erschien ihm das Brieflein ganz und gar nicht ordinär oder gewöhnlich. Der Inspector konnte keinen Rechtschreibfehler finden, und auch die sprachliche und optische Form des Briefes war korrekt. Was war das für eine Frau? Jung … alt? Verknöchert … voll Lebenskraft? Energisch zupackend … gnadenlos herrisch? Ein Haustyrann … ein liebevoll gestaltender Hausgeist? Eine verheiratete … eine, die noch keinen Mann hatte? Ein loses Weib … eine vertrocknete Betschwester?
    »Kruzitürken!«, fluchte Nechyba und sprang von seinem Sofa auf, um wie ein gereizter Tiger im Zimmer auf und ab zu gehen. Die Schwüle der Nacht war unerträglich. Da wurde selbst der besonnenste und anständigste Mann der Welt verrückt. Sich Gedanken über wildfremde Weiber machen! Was zerbrach sich so ein alter Esel wie er den Kopf über eine Weibsperson, die ihm aufgrund einer blödsinnigen Verwechslung ein Rumpsteak, Speck und Suppenknochen samt eines kurzen Brieferls übermittelt hatte. Andererseits: Es zeugte von großer Ehrlichkeit, dass sie sich das Rumpsteak nicht selbst abgebraten hatte! Dafür musste er sich – und das sah Joseph Maria Nechyba jetzt ganz klar – zumindest mit einem Blumenstrauß bedanken. Eleganter und weltmännischer wäre natürlich, wenn er ihr ein Billett zukommen ließe, in dem er sich schriftlich bedankte und in dem er gleichzeitig eine Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen in einem renommierten Speisehaus – zum Beispiel bei Meißl & Schadn am Neuen Markt – aussprechen würde. Allerdings könnte so eine Einladung auch als plumper Annäherungsversuch missverstanden werden. Gereizt von der gewittrigen Atmosphäre und aufgewühlt von den sich ihm eröffnenden Perspektiven, stampfte Joseph Maria Nechyba so lange über die federnden Holzbalken des Fußbodens, bis er eine aufgebrachte Frauenstimme hörte: »Ist da bald eine Ruhe, da oben? Das Getrampel ist ja wie von einer Elefantenherde! Ich werd gleich die Polizei rufen!«
    Unsanft aus seinen Grübeleien gerissen, antwortete er durchs geöffnete Fenster der unter ihm wohnenden Kratochvil Folgendes: »Die Polizei bin ich selber! Halten S’ den Mund, sonst verhaft ich Sie und lass Sie in den Gugelhupf sperren!«
    Dieser Drohung folgte von draußen – wie von

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