Die Naschmarkt-Morde
andere Erfrischungen genießen wollte, der setzte sich einfach in einen der zahlreichen Gastgärten, die in den lauschigen Innenhöfen der Stadt betrieben wurden.
Aloysius Schönthal-Schrattenbach hatte andere Pläne. Als er aus dem kühlen Inneren des herrschaftlichen Hauses, in dem er mit seiner Mutter und Cousine wohnte, auf die Gasse trat, pochte das Blut in seinen Schläfen, seine Hände waren feucht, die Augenlider zuckten nervös. Eine Kartenpartie – eine große, vielleicht die alles entscheidende – war für heute Nacht fixiert. Diese Partie war die Chance, mit vorsichtigem und routiniertem Spiel einen hübschen Batzen Geld zu gewinnen und damit seine lästigen Geldgeber fürs Erste einmal ruhigzustellen. Vor dem Hauseingang stand er einige Augenblicke unschlüssig auf dem Trottoir und überlegte, ob er einen Wagen nehmen oder sich per pedes zu seinem Ziel begeben solle. Er wippte nervös mit der Fußspitze, strich mit dem Zeigefinger einige Male über sein gestutztes Schnurrbärtchen und entschied sich schließlich für den Spaziergang. Sein anfangs flotter Schritt verlangsamte sich nach und nach, er flanierte, Schaufenster betrachtend, die Kärntner Straße entlang und bog schließlich beim Stock-im-Eisen-Platz in den Graben ein. Hier spazierten unzählige Menschen – ein Sehen und Gesehenwerden. Der Baron kannte natürlich einige, man grüßte einander, ohne jedoch innezuhalten und miteinander zu plaudern. Schönthal-Schrattenbachs abweisender Gesichtsausdruck sorgte dafür, dass man Distanz hielt. Als er den Pavillon des Grabencafés passierte, erblickte er das schnauzbärtige Dackelgesicht Peter Altenbergs. Der stadtbekannte Bohemien und Dichter saß an einem der Tische und parlierte mit zwei hübschen, noch sehr jungen Mädchen. Die Unterhaltung schien ihm aufs Äußerste zu behagen. Eine Zornesader schwoll an des Barons Stirn. Altenberg, dieser elendige Schnorrer, hatte ihn vor Jahren um Geld angepumpt. Er, ein Gymnasiast, der damals die ersten Schritte ins Wiener Bohemien-Milieu wagte, erlag dem Charme des brillanten Schwadronierers Altenberg und borgte ihm einen nicht unbeträchtlichen Betrag. Altenberg investierte das geliehene Geld umgehend in Champagner, den er allen im Lokal anwesenden Damen spendierte. Als er Wochen später Altenberg ultimativ aufforderte, ihm das Geld zurückzuerstatten, erhielt er von diesem die Belehrung: Einem mittellosen Poeten könne man immer nur Geld schenken, aber nie Geld wegnehmen. Altenberg ein Poet? So ein Blödsinn! Schönthal-Schrattenbachs Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war. Heute Abend galt es, sich aufs Spiel zu konzentrieren – sollte der Altenberg doch sein, was er wollte …
Als er durch die schmale Naglergasse ging, kam ihm plötzlich sein Freund Otto Weininger in den Sinn, der ihm heute brieflich mitgeteilt hatte, dass er demnächst in südliche Gefilde – nach Italien – aufzubrechen gedenke. Ach Gott, der Otto … der hatte es gut. Und Geldsorgen waren dem sowieso fremd. Erstens hatte er einen wohlbestallten Goldschmied als Vater. Und zweitens war der Otto immer nur mit seinen Büchern und Manuskripten beschäftigt. Daraus resultierte drittens, dass er keinerlei Ausgaben für Pferde, Theaterbesuche, galante Abenteuer und schon gar nicht für Glücksspiele hatte. Ja, ja, die Spielleidenschaft … Eine Passion, der er nun schon seit Längerem frönte und die ihm in zunehmendem Maß Sorgen bescherte.
»Guten Abend, Herr Baron.«
Der grauhaarige, livrierte Lakai, der die Schlupftür des mächtigen Palaistores öffnete, machte eine leicht angedeutete Verbeugung sowie eine einladende Handbewegung.
»Fürstliche Hoheit erwartet Sie schon. Wenn Sie mir hinauf ins Spielzimmer folgen würden …«
Leicht gebeugt und mit zappeligem Schritt stieg der Lakai vor dem Baron die Treppe empor. Oben angekommen, führte er Schönthal-Schrattenbach durch den großen Festsaal zu einer diskret hinter Tapeten versteckten Tür, durch die sie in das Spielzimmer des Fürsten Montenuovo gelangten. Dieser war mit zwei anderen Herren in ein Gespräch vertieft, unterbrach dieses jedoch, um auf den Neuankömmling mit offenen Armen zuzugehen und ihn links und rechts auf die Wange zu küssen. Eine horrible Angewohnheit des Fürsten. Er, der sich als Obersthofmeister den Ruf der Unerbittlichkeit in allen Fragen des höfischen Protokolls und der Etikette erworben hatte, leistete sich im privaten Rahmen dieses exzentrische Begrüßungsritual.
»Servus,
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