Die Nebel von Avalon
setzte Gwydion den leeren Becher ab und verhinderte, daß eine Dienerin ihn wieder füllte.
»Nein, nicht mehr, ich bin müde. Wenn ich noch etwas trinke, bin ich betrunken. Ich würde gerne etwas essen. Das Jagdglück hat mich nicht verlassen, und ich kann kein Fleisch mehr sehen. Ich sehne mich nach Hafergrütze und Gerstenkuchen… Mutter, ehe ich in die Bretagne aufbrach, begegnete ich der Herrin Morgaine in Avalon.«
Oh, warum sagt er mir das?
überlegte Morgause. Man konnte nicht erwarten, daß er seiner Mutter große Liebe entgegenbrachte. Dann dachte sie mit dem plötzlichen Gefühl der Schuld:
Ich habe dafür gesorgt, daß er nur mich liebt.
Nun, sie hatte getan, was sie tun mußte, und sie bedauerte es nicht. »Wie geht es meiner Nichte?«
»Sie wirkt nicht mehr so jung«, erwiderte Gwydion, »sie erschien mir älter als du, Mutter.«
»Nein«, entgegnete Morgause, »sie ist mindestens zehn Jahre jünger als ich.«
»Trotzdem, sie wirkte verbraucht und alt. Aber du…« Er lächelte sie an, und Morgause durchströmte ein plötzliches Glücksgefühl. Sie dachte:
Keinen meiner Söhne habe ich so geliebt wie ihn. Morgaine tat gut daran, ihn mir zu überlassen.
»Ach«, sagte sie, »auch ich werde alt, mein Sohn… Als du geboren wurdest, hatte ich bereits einen erwachsenen Sohn.«
»Dann bist du eine viel bessere Zauberin als sie«, antwortete Gwydion. »Man könnte schwören, du hättest lange im Reich der Feen gelebt, wo die Zeit dir nichts anhaben konnte… Für mich siehst du heute noch so aus wie am Tag, an dem ich nach Avalon ritt, Mutter.« Er griff nach ihrer Hand, zog sie an seinen Mund und küßte sie. Morgause
erhob sich und legte ihm vorsichtig den Arm um die Schultern, ohne die Wunde zu berühren. Sie strich ihm über die dunklen Haare. »Morgaine ist jetzt Königin in Nordwales.«
»Ja, das stimmt«, sagte Gwydion, »und wie ich höre, steht sie beim König hoch in dessen Gunst… Artus hat ihren Stiefsohn Uwain zusammen mit Gawain zu seinem Leibwächter gemacht. Uwain und Gawain sind gute Freunde. Uwain ist kein schlechter Kerl… er ähnelt Gawain, möchte ich sagen… sie sind beide stark und tapfer… und Artus so treu ergeben, als ginge die Sonne dort auf und da unter, wo er gerade pißt…« Morgause bemerkte Gwydions trockenes Lächeln. »Aber diesen Fehler teilen sie mit vielen Männern… und darüber wollte ich mit dir sprechen, Mutter«, fügte er hinzu. »Weißt du etwas über Avalons Pläne?«
»Ich weiß, was Viviane und der Merlin sagten, als sie kamen, um dich abzuholen«, erwiderte Morgause. »Ich weiß, du sollst Artus' Erbe antreten, auch wenn der Großkönig glaubt, er würde das Reich Lancelots Sohn hinterlassen. Ich weiß, du bist der junge Hirsch, der den alten Hirschkönig zur Strecke bringen wird«, fügte sie in der Alten Sprache hinzu, und Gwydion hob die Augenbrauen.
»Dann weißt du alles«, sagte er. »Aber das weißt du vielleicht noch nicht… jetzt in dieser Zeit kann es nicht geschehen. Artus hat diesen Römer Lucius, der Kaiser sein wollte, gestürzt, und sein Stern strahlt heller als je zuvor. Jeder, der die Hand gegen Artus erhebt, würde von seinen Untertanen oder seinen Gefährten in Stücke zerrissen… Ich habe noch keinen Mann gesehen, der so geliebt wird. Ich glaube, deshalb mußte ich ihn mir aus der Ferne ansehen, mußte begreifen, was ihn als König so beliebt macht…« Er schwieg, und Morgause fühlte sich unbehaglich. »Hast du es herausgefunden?«
Gwydion nickte nachdenklich. »Er ist wirklich ein König… Selbst ich, der ich keinen Grund habe, ihn zu lieben, spürte den Zauber, den er um sich verbreitet. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er verehrt wird.«
»Wie merkwürdig«, entgegnete Morgause, »ich hielt ihn nie für so außergewöhnlich.«
»Nein, sei gerecht«, entgegnete Gwydion. »Es gibt nur wenige… vielleicht in diesem Land keinen anderen, der die Vielen hätte einen können wie er. Römer, Waliser, die Cornuten, die Leute aus dem Westen, aus dem Osten, aus der Bretagne, das Alte Volk, das Volk von Lothian… alle im Reich schwören auf König Artus, Mutter! Selbst die Sachsen, die Uther Pendragon bis zu seinem Tod bekämpfte, schwören ihm Treue. Er ist ein großer Kämpe… nein, er kämpft nicht besser als jeder andere und nicht halb so gut wie Lancelot oder Gareth. Aber er ist ein großer Feldherr. Und da ist noch etwas… an ihm«, sprach Gwydion weiter. »Es ist so leicht, ihn zu lieben. Und solange ihn alle
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