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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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plötzlich erhob und die Zauberworte sprach, die sein Boot in die Nebel und nach Avalon führen würden… aber sie tat es nicht.
Nur weil ich es nicht kann?
fragte sie sich.
    In der Stunde vor Sonnenaufgang war die Luft kühl und frisch. Der Klang der Glocken drang weich und klar über den See. Morgaine sah eine lange Prozession grau gewandeter Gestalten, die zur Kirche zogen. Die Mönche standen früh auf, um zu beten und zu singen. Morgaine hörte einen Augenblick lang still zu. Inzwischen lag auch ihre und Artus' Mutter hier begraben und war wie Viviane unter den Klängen dieser getragenen Gesänge zur Ruhe gebettet worden. Morgaines Liebe zur Musik ließ sie dem Gesang lauschen, den der leichte Morgenwind zu ihr trug. Einen Augenblick lang stand sie reglos da, und Tränen brannten in ihren Augen. Wollte sie auf heiligem Boden freveln?
    Laß es sein! Schließt Frieden miteinander, Kinder…
Igraines vergessene Stimme schien ihr das zuzuflüstern.
    Inzwischen waren alle graue Gestalten in der Kirche verschwunden. Morgaine hatte viel über die Abtei hier gehört… sie wußte, dort lebte eine Mönchsbruderschaft. In einiger Entfernung stand ein Nonnenkloster, in dem Frauen lebten, die ihre Jungfräulichkeit Christus geweiht hatten. Morgaine verzog verächtlich das Gesicht. Ihr schien dieser Gott fremd, der die Gedanken von Männern und Frauen auf den Himmel und nicht auf die Erde gerichtet sehen wollte. Die Erde war den Menschen geschenkt worden, damit sie lernen und im Geist wachsen konnten. Der Anblick der Männer und Frauen, die sich zum gemeinsamen Gebet trafen, ohne den Gedanken an eine Berührung oder Gemeinsamkeit, war ihr höchst zuwider. O ja, auch in Avalon gab es heilige Jungfrauen… sie selbst hatte zu ihnen gehört, bis ihre Zeit gekommen war; und Raven hatte nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Stimme der Göttin überlassen. Jetzt lebte Nimue dort, Lancelots Tochter. Raven hatte sie für ein Leben in der Abgeschiedenheit ausgewählt… aber die Göttin forderte das nur in wenigen Ausnahmefällen. Nicht jeder Frau, die ihr dienen wollte, konnte man dieses Gebot auferlegen. Morgaine glaubte nicht, was manche der Frauen in Avalon erzählt hatten, daß Mönche und Nonnen ihr keusches und heiliges Leben nur spielten, um die Bauern mit ihrer Reinheit zu beeindrucken, aber sich hinter den hohen Klostermauern jeder fleischlichen Lust hingaben. Dafür hätte Morgaine sie verachtet. Wer sich entschieden hatte, dem Geist zu dienen und nicht dem Fleisch, sollte es aufrichtig tun. Scheinheiligkeit war immer etwas Widerwärtiges. Die Vorstellung, daß diese Männer und Frauen wirklich im Geist lebten, daß eine Kraft, die sich göttlich nannte, Unfruchtbarkeit der Fruchtbarkeit vorzog…
das
erschien Morgaine als schrecklicher Verrat an den Kräften, die der Welt Leben schenkten.
    Sie sind Narren und Schlimmeres. Sie beschränken ihr Leben und wollen deshalb alles Leben auf ihren eigenen engen Horizont begrenzen…
    Aber sie durfte hier nicht müßig stehen. Sie kehrte der Kirche den Rücken und ging zum Gästehaus. Sie rief das Gesicht, um den Weg zu Artus zu finden.
    Im Gästehaus fand sie drei Frauen… eine schlief neben der Tür, eine zweite rührte in der Küche in einem Kessel Hafergrütze und eine dritte saß an der Tür des Gemachs, in dem sie undeutlich Artus' Gegenwart spürte. Er schlief tief und fest. Aber bei ihrem Eintritt hoben die verschleierten Frauen in den dunklen Gewändern die Köpfe. Sie waren auf ihre Weise heilige Frauen und besaßen etwas Ähnliches wie das Gesicht… sie spürten in Morgaine etwas, das mit ihrem Leben unvereinbar war… vielleicht den fremden Hauch von Avalon.
    Eine der Frauen erhob sich, trat ihr in den Weg und fragte flüsternd: »Wer seid Ihr, und was führt Euch zu dieser Stunde hierher?«
    »Ich bin Königin Morgaine von Nordwales und Cornwall«, erwiderte Morgaine leise mit gebieterischer Stimme. »Ich bin gekommen, um meinen Bruder zu sehen! Willst
du
es mir verbieten?« Sie blickte der Frau in die Augen und bewegte die Hand – es war der einfachste Zauber, den sie kannte, um Widerspruch zu unterdrücken. Unfähig zu sprechen oder ihr etwas zu verbieten, wich die Frau zurück. Morgaine wußte, die Frau würde später eine Geschichte von furchteinflößender Zauberei erzählen. Aber in Wahrheit war ihr Wille einfach stärker als der einer Frau, die sich bewußt demütigte und ihren eigenen Willen aufgegeben hatte.
    Ein sanftes Licht erhellte den Raum.

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