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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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rankten. Beim Nähertreten bemerkte er, dass der Mönch nicht allein war. Er sprach mit jemandem, der neben ihm kauerte. Neugierig umrundete Albin den kurzen Zaun, der einzig zu dem Zweck errichtet war, den Pflanzenranken einen Halt zu geben. Abrupt blieb er stehen. Neben Graman hockte kein Er, sondern eine Sie.
    Graman und Gerswind, die seine Schritte gehört hatten, blickten ihm entgegen. Im rötlichen Licht der allmählich hinter den Bergen versinkenden Sonne wirkte Graf Guntrams Tochter fast noch schöner als gestern Abend im Refektorium. Der unstete Schein von Lampen und Kerzen ließ sich nicht mit dem gleichmäßigen Leuchten des Himmelsgestirns vergleichen. Die ebenmäßigen, wohl geformten Züge des Mädchens wurden von keinem Schatten befleckt. Die Augen wirkten heller als gestern und leuchteten wie aus Bernstein geformt. Die Lippen, rot wie die Beeren von Gramans heilenden Pflanzen, verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
    »Du stehst da wie ein am Boden festgewachsenes Erdmännlein«, kicherte Gerswind. »Bist du vielleicht ein Elb? Man sagt doch, die Elben erstarren zu Stein, wenn ein Mensch sie erblickt. Die richtige Färbung hast du jedenfalls, wie aus Lehm geschaffen.«
    Ihre scherzhafte Frage ließ Graman besorgt drein- blicken, was aber nur Albin bemerkte. Er löste sich aus seiner Erstarrung und sah auf seine Hände. Dreck und der Schweiß der Tagesarbeit hatten seine Haut mit einer bräunlichen Kruste überzogen. Im Gesicht musste er nicht viel anders aussehen. Er hatte es so eilig gehabt, Graman aufzusuchen, dass er nicht daran gedacht hatte, sich zu waschen.
    Scham erfüllte ihn, als er in das saubere Antlitz Gerswinds blickte. Natürlich war die Tochter des ostfränkischen Gesandten für ihn unerreichbar. Genauso gut hätte er versuchen können, König Arnulf die Krone streitig zu machen. Trotzdem hätte er sich gewünscht, einen guten Eindruck auf Gerswind zu machen, ihr wenigstens sauber gegenüberzutreten. Auch wenn er arm war und nur geflickte Kleidung trug, zur Reinlichkeit hatte Graman ihn erzogen.
    Als sein zerknirschter Blick für einen weiteren Heiterkeitsausbruch des Mädchens sorgte, verwandelte seine Scham sich in Wut. Er vergaß ihre hohe Stellung und dachte nur noch daran, dass sie kein Recht besaß, sich derart über ihn lustig zu machen. Trotzig blickte er in Gerswinds Augen. »Ich war auf dem Feld, um das Winterkorn auszustreuen. Die Luft war heiß und das Erdreich staubig. Der Schmutz ist der Gefährte harter Arbeit. Davon kannst du natürlich nichts wissen, edle Herrin.« Er legte seiner Stimme einen spöttischen Ton bei, besonders als er Gerswind »edle Herrin« nannte.
    Sie erhob sich und stampfte mit dem Fuß auf. Das Beben ihrer Lippen verriet ihren Zorn, und Albin fand, dass selbst dieser Ausdruck auf ihrem Gesicht Gerswinds Schönheit keinen Abbruch tat. Doch statt der erwarteten Zurechtweisung erfolgte ein heftiges Lachen.
    »Diesmal lache ich nicht über dich, sondern über mich«, sagte sie schließlich und zeigte an ihrem Kleid hinab. »Schau nur, jetzt habe auch ich mich beschmutzt.« Ihr helles Gewand war an den Knien mit den Ranken in Berührung gekommen und wies grüne Streifen auf. »Mein Schmutz rührt aus Unachtsamkeit, deiner aus harter Arbeit. Ich hatte kein Recht, mich über dich lustig zu machen. Verzeih mir bitte!«
    »Du brauchst mich nicht um Verzeihung zu bitten«, erwiderte Albin, dessen Wut sich gelegt hatte. »Du bist die Tochter des Grafen Guntram.«
    »Ich heiße Gerswind«, erklärte sie, was er längst wusste. »Und du?«
    »Albin.«
    »Ein schöner Name.«
    »Das ist Gerswind auch«, sagte Albin, jetzt ein wenig verlegen.
    Sie lächelte. »Danke. Mein Name ist nicht besser als deiner, so wie ich nicht besser bin als du. Ich hatte das Glück, als Tochter eines hohen Herrn geboren zu werden. Vielleicht bist du nicht weniger glücklich als Sohn eines Bauern oder Tischlers oder was dein Vater sein mag.«
    »Ich kenne meine Eltern nicht.«
    »Nicht?«, fragte sie überrascht. »Aber wie...«
    Albin zeigte auf den Mönch. »Nonus Graman fand mich im Wald, ausgesetzt.«
    »Oh«, stieß Gerswind verwirrt hervor. Sie schien nicht recht zu wissen, was sie darauf erwidern sollte. Zwei kräftige Männer, die schnellen Schrittes in den Kräutergarten traten, enthoben sie einer Antwort. Albin hatte sie schon in Graf Guntrams Gefolge bemerkt. Beide hatten rötlich blondes Haar, das lang auf ihre Schultern fiel, und Bärte gleicher Farbe. Jeder hatte

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