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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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nicht nur Dolch und Schwert am Gürtel hängen, sondern auch eine Axt mit leicht gebogenem Stiel und prächtig verzierter Stahlklinge. Die Klingenzier beider Äxte war gleich, zeigte auf jeder Seite einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Fast so gleich wie die Adler wirkten die Gesichtszüge der Krieger, obwohl der eine groß und sehnig, der andere aber gedrungen und massig war. Seltsam war auch die Narbe, die jeder auf der linken Wange aufwies, so groß, dass fast sämtliches Fleisch dieser Gesichtshälfte verbrannt zu sein schien. Selbst der Bart wuchs dort nicht mehr. Beide Narben ähnelten in der Form einem Vogelkopf.
    Schnell hatte sich in der Abtei verbreitet, dass die beiden ungewöhnlichen Gestalten Nordmänner waren. Die Angehörigen dieses gefürchteten, als beutelustig und grausam berüchtigten Volkes machten seit vielen Generationen die Küsten unsicher und befuhren auf ihren Raubzügen mit den scheinbar unbesiegbaren Drachenschiffen sogar die Flüsse bis tief ins Landesinnere. Könige und Kirchenfürsten wirkten machüos gegen die Kriegslust der Fremden aus dem Norden, die man auch Wikinger nannte. Abteien und Städte wurden niedergebrannt und geplündert oder sie wurden kampflos aufgegeben, sobald die Segel der Drachenschiffe am Horizont auftauchten. In allen Königreichen betete man inbrünstig: »Vor dem Zorn der Nordmänner verschone uns, Herr!«
    Manchmal gelang es, die Angreifer durch die Übergabe hoher Geldsummen vom Schlimmsten abzuhalten, was aber die Gier der wilden Räuber letztlich nur noch stärker anheizte. Erst als Arnulf von Kärnten vor drei Jahren König des Ostfränkischen und Odo ungefähr zur selben Zeit Herrscher des Westfränkischen Reiches geworden waren, hatten die Nordmänner in ihnen Gegner gefunden, die sich nicht der Gewalt beugten. Wie man sich erzählte, hatte Graf Guntram für König Arnulf mehrere Siege über die Feinde erstritten. Um so seltsamer war es aus Albins Sicht, dass zwei bewaffnete Nordmänner zu Guntrams Gefolge gehörten.
    Gerswind stieß einen missmutigen Seufzer aus. »Das sind Arne und Arwed. Nach Graf Chlodomers Tod hat Vater, besorgt um mein Wohlergehen, sie zu meinen Aufpassern bestimmt. Sie machen ihre Sache gut, schade auch. Ich dachte, ich hätte sie abgeschüttelt.«
    Die Nordmänner blieben vor ihnen stehen. Albin kam sich angesichts der kräftigen Krieger geradezu mickrig vor. Schon Gerswind war etwas größer als er, aber selbst der kleinere Nordmann überragte das Mädchen um zwei Haupteslängen.
    »Du solltest dich nicht vor uns verstecken, Herrin«, sagte der größere Nordmann vorwurfsvoll. Seine Stimme klang rau und die fremde Mundart war für Albin nur schwer zu verstehen. »Wie sollen wir dich beschützen?«
    »Keine Sorge, Arne, ich war nicht in Gefahr. Ich habe mir nur von Nonus Graman die Heilkräfte seiner Kräuter erklären lassen. Wir müssen meinem Vater ja nichts davon erzählen, nicht wahr?« Ein betörendes Lächeln, mehr das einer erwachsenen Frau als eines Mädchens, umspielte ihre Lippen.
    »Graf Guntram hat uns aufgetragen, ihm alles Auffällige zu melden«, versetzte Arne ungerührt. »Er erwartet dich zum Abendmahl, Herrin.«
    »Jaja, ich komme schon.«
    Graman sagte: »Vielleicht ist es wirklich besser, du bleibst unter dem Schutz deiner Wachen, bis Graf Chlodomers Tod geklärt ist. Was nutzen die besten Wächter, wenn sie einem nicht zur Seite stehen?«
    »Arne und Arwed müssen nicht an meiner Seite stehen, um mich zu schützen. Auch auf die Ferne sind ihre Waffen tödlich.« Gerswind wandte sich an die Nordmänner. »Zeigt, dass ich nicht geprahlt habe!«
    Die Krieger aus dem fernen Norden verständigten sich mit schnellen Blicken. Dann wirbelte Arne herum, zog die Axt aus dem Gürtel und warf sie durch die Luft. Das alles geschah so schnell, dass Albins Augen dem kaum folgen konnten. Fünfzig Fuß entfernt wuchsen einige Holundersträucher. Ein Strauch überragte die anderen um mehr als Armlänge und lief in einer doppelten, an eine Gabel erinnernden Spitze aus. Die Axt schlug eine Hälfte der Doppelspitze ab, machte in der Luft kehrt und kam mit einem pfeifenden Geräusch zurückgeflogen. Ein schneller, geschickter Griff Arnes und schon steckte die Waffe wieder in seinem Gürtel. Augenblicklich zückte Arwed die Axt, auch die zweite Spitze des Holunderstrauchs wurde abgetrennt und wiederum kehrte die Waffe zu ihrem Besitzer zurück.
    Gerswind nickte den beiden anerkennend zu und sagte zu Graman: »Du siehst,

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