Die Nebelkinder
wieder schaffte er es nicht, sprang er zurück wie von einem unsichtbaren Pferdehuf getroffen.
»Grässlich, wie grässlich!«, stieß er hervor und deutete auf den Stein. »Das ... das kann ich nicht anfassen.«
»Wenn er dir zu schwer ist, nimm einen anderen!«, herrschte Waldo ihn an. »Sie alle sind größer als das Steinchen, das Findig hochgehoben hat.«
»Größer, ja«, brummte Ivo und sein Blick glitt an der Steinreihe entlang. Wieder trat Entsetzen in seine Züge. »Nein, nein, sie alle sind verwunschen! Die Steine sind verhext!«
Und plötzlich sah Albin, was der Mischler meinte. Dort lagen keine Steine, sondern lebendige Wesen. Knäuel von zuckenden, zischenden Schlangen, die ihre hässlichen Köpfe mit den weit aufgerissenen Mäulern nach allen Seiten ausstreckten, bereit, jederzeit zuzubeißen. Lange, gebogene Zähne wurden vorgereckt und spitze Zungen stießen in schneller Folge aus den glitschigen Schlünden. Auch Albin hätte sich gescheut, die garstigen Schlangen zu berühren.
Die Mischler bedrängten den Einäugigen, endlich einen Stein, irgendeinen, hochzuheben. Aber Ivo trat immer weiter zurück, bis die lebendige Mauer der anderen ihn auffing, und stammelte: »Die Schlangen! Sie zucken, sie beißen! Nein, nicht mich!« Er ließ sich zu Boden fallen und drückte beide Hände vors Gesicht, um den grässlichen Anblick nicht länger ertragen zu müssen.
Findig wandte sich Waldo zu und fragte: »Nun, wer hat gesiegt?«
»Was heißt gesiegt?«, schrie Waldo. »Du hast irgendeinen Elbenzauber benutzt. Anders ist das nicht zu erklären.«
»Jeder kämpft mit seinen Mitteln«, erklärte Findig. »Oder hast du geglaubt, ich lasse mich auf einen Kampfein, den ich verliere? Was ist jetzt, stehst du zu deinem Wort oder nicht, Waldo?«
Waldo war so erregt, dass er mit den spitzen Zähnen in seine Unterlippe biss. Ein paar Blutstropfen traten aus und rannen über sein Kinn. »Also gut, geh allein zu Durin«, stieß er mit bebender Stimme hervor. »Aber beeil dich. Wenn du in fünf Tagen nicht zurück bist, stecke ich deinen Freund, den Elbenburschen, mit Ivo in ein Erdloch und warte, bis nur einer lebend rauskommt!«
In einem Erdloch steckte Albin schon eine Stunde später. Nachdem Findig sich davongemacht hatte, ohne seinen Begleiter noch eines Blickes zu würdigen, hatten die Mischler ihn endlich von der Stange befreit. Dabei hatte er unentwegt auf die Steine gestarrt, die wieder bloße Steine gewesen waren. Von Schlangen keine Spur. Findig mit seinen unglaublichen Geisteskräften musste den Spuk in Ivos Gedanken ausgelöst haben. Ähnlich dem Zauber, oder wie auch immer man es nennen wollte, den Findig mit den Bäumen im Buchenhort veranstaltet hatte. Albin hatte die Schlangen wohl deshalb sehen können, weil er sehr empfänglich für Findigs Gedanken war.
Unter starker Bewachung hatte Albin eine wenig schmackhafte Suppe zu sich genommen. Er hatte lieber nicht gefragt, was die Mischlerweiber alles in die Kessel geworfen hatten. Wahrscheinlich hätte er sowieso keine Antwort erhalten, und wenn, dann Worte, die vor Hass und Spott troffen. Anschließend hatten die Mischler ihn in dieses düstere Loch gesperrt, in das sie zwei Holzpflöcke eingerammt hatten. Seine Hände waren an den einen, die Füße an den anderen Pflock gefesselt. Ein kleines Holzgatter vor dem Eingang schirmte ihn von der Außenwelt ab. Er war allein mit seinen Gedanken, die um sein künftiges Schicksal kreisten und um die Frage, ob Findig ihn im Stich gelassen hatte.
Erst glaubte er fest, Findig würde zurückkehren, um ihm zu helfen. Aber je länger er in dem Loch lag, desto größer wurden seine Zweifel. Was wusste er schon von dem Elb? Nicht viel, so gut wie nichts. Und was konnte Findig an Albin liegen? Auch nicht viel, kaum mehr als nichts. Wenn Findig ins Mischlerlager zurückkehrte, musste er mit dem Schlimmsten rechnen, schienen er und Waldo sich doch spinnefeind zu sein. Da war es nur klug von Findig, wenn er sich nicht weiter um den Gefährten kümmerte. Albin konnte es ihm nicht einmal verübeln.
Von draußen drang eine eigenartige Musik an seine Ohren, gespielt von Flöten und dumpfen Trommeln, eine Melodie, wie er sie noch nie gehört hatte. Er vernahm lachende, grölende Stimmen. Erst nach und nach kehrte Ruhe im Lager ein.
Viele Stunden waren vergangen, seit man ihn hier eingesperrt hatte. Als schließlich das Gatter am Eingang weggeschoben wurde, schöpfte er neue Hoffnung. Also kam Findig doch, um ihn zu
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