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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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lederhäutigen Gesicht verrieten. Doch wirkte er seltsam alterslos, als hielt eine innere Kraft jede Anfechtung der Zeit von ihm fern.
    Unwillkürlich bewunderte Albin den Mut des Elben. Er wagte, sich nicht nur so nahe an zwei Tiere heran, von denen ein einzelnes schon eine tödliche Gefahr bedeutete, er nahm dieses Unterfangen auch noch gänzlich unbewaffnet auf sich. Nicht einmal ein Dolch hing an seinem Gürtel. Das minderte nicht den Respekt, den die Luchse ihm entgegenbrachten. Im Gegenteil, jetzt, wo der Elb sich auf ihren Ast zu schieben begann, brach ihre Furcht vollends hervor. Die schmalen Luchsaugen hielten dem zwingenden Blick des Nebelkinds nur kurz stand. Unter lautem Geschrei gaben die Raubtiere ihren Posten auf, sprangen ins Astwerk des nächsten Baums und kletterten an dessen Stamm zu Boden, um sich mit weiten Sätzen tiefer in den Wald zu flüchten.
    Ihr Bezwinger begann, schallend zu lachen, der ganze Ast wippte bei seinem Heiterkeitsausbruch. Albin befürchtete, der Unbekannte könnte jeden Augenblick abstürzen. Dann aber machte der Elb es den Luchsen nach. Flink sprang er von Ast zu Ast, bis er binnen kürzester Zeit mit einem letzten Sprung vor den drei anderen auf dem Boden landete. Keinen Augenblick verlor er das Gleichgewicht. Leichtfüßig kam er vor ihnen auf, stand aufrecht da und blickte einen nach dem anderen an, bis seine Augen auf Albin ruhten.
    Diese Augen! Sie waren ungewöhnlich groß und klar, aber dabei von einer unbestimmbaren Farbe. In einem Moment schillerten sie blaugrün wie ein ruhiger See im Sonnenlicht, im nächsten waren sie dunkel, unergründlich und ganz tief drinnen von einem Feuer erfüllt. Albin konnte seinen Blick nicht abwenden und versuchte hinter das Geheimnis der eigenartigen Augen zu kommen. Ganz, tief tauchte er in sie ein, was nicht weiter schwer war. Er fühlte eine fremde Kraft, gleich unsichtbaren Händen, die ihn ergriffen und in das weite, unbekannte Land zogen, in das die Elbenaugen sich verwandelt hatten.
    Helles Licht durchflutete dieses Land, obwohl keine Sonne am Himmel stand. Albin schritt über eine Wiese zu einem alten, gütig dreinblickenden Mann, der auf einem Steinblock saß und ihm ruhig entgegensah. Der Alte sagte kein einziges Wort, und doch begann Albin ihm von sich zu erzählen. Der Findling vertraute ihm und spürte das brennende Verlangen, sein ganzes Wissen mit ihm zu teilen.
    Plötzlich durchzog ein Riss den Himmel und in dem Riss kam eine andere Welt zum Vorschein. Albin sah rankenbewachsene Bäume und ein Augenpaar, das ihn nicht aus seinem Bann ließ. Und da erkannte Albin, dass er der Gefangene eines Traums war, eines fremden Traums. Die Macht der Elbenaugen hatte ihn seines eigenen Willens beraubt und brachte ihn dazu, mit der lautlosen Stimme seiner Gedanken über sich zu erzählen, als sei der Besitzer der verzauberten Augen ein alter Freund.
    Albin wehrte sich dagegen und konzentrierte sich auf den stummen Alten. Dessen Umrisse wurden unscharf und lösten sich schließlich in einem diffusen Nebelwabern auf. Die Nebelschwaden verdichteten sich und nahmen erneut feste Gestalt an, diesmal die eines hübschen Mädchens, das schon eher eine junge, schöne Frau war. Gerswind saß auf dem Felsblock, lächelte Albin an und streckte ihm eine Hand entgegen, die er ohne zu zögern ergriff. Das Mädchen erhob sich und führte ihn über die Wiese, aber beider Füße berührten nicht den Boden. Albin und Gerswind schwebten durch die Luft, geradewegs auf den Riss im Himmel zu, durch den sie das Land der Gedanken verließen.
    Er stand wieder in der seltsamen Elbenburg, in dem noch seltsameren Wald. Schmerzhaft wurde Albin bewusst, dass er Gerswind nicht hatte mitnehmen können. Sie war aus seinen Gedanken entstanden und in seinen Gedanken blieb sie zurück. Obwohl sie nicht wirklich gewesen war, empfand er ihr gegenüber tiefe Dankbarkeit. Nur durch den festen, unbeirrbaren Gedanken an Gerswind hatte er es geschafft, der unheimlichen Macht der Elbenaugen zu entkommen.
    »Stark ist er, dieser Junge namens Albin, ungewöhnlich stark«, stellte der fremde Elb verwundert fest.
    »Selten traf ich einen mit seinen Fähigkeiten. Und er hat wirklich sein ganzes Leben bei den Mönchen am Mondsee verbracht?«
    »Ja, mein König«, antwortete Findig. »Jemand setzte ihn vor vielen Jahren aus, und die Mönche zogen ihn auf.«
    »Mein König!« Natürlich, Albin hatte es bereits geahnt. Sein Gegenüber mit den verzauberten Augen war niemand anderer als

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