Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
hüllte sie um die Verletzte. Die Ledermaske steckte zwar in dem Bündel, das Gisbrand in aller Eile gepackt hatte, doch Faustus blieb bei seinem Entschluß, daß die Wunden Luft brauchten. Wir zogen ihr daher die Kapuze weit ins Gesicht, so daß die Verletzungen zumindest aus der Ferne nicht zu sehen waren. Wundersamerweise konnte sie sich schon nach zwei weiteren Tagen aus eigener Kraft im Sattel halten, so daß wir Arm-und Rückenlehnen abnahmen und im Unterholz vergruben.
»Ich verstehe es nicht«, gestand Faustus einmal. »Ihre Kräfte kehren schneller zurück als bei jedem anderen, den ich bisher gepflegt habe. Allein die Wunden in ihrem Rücken müßten es ihr unmöglich machen, ohne Stütze aufrecht zu sitzen, ganz zu schweigen von den Verbrennungen.«
Doch auch ihm blieb nichts weiter zu tun, als staunend den Fortschritten seiner Patientin zu folgen und sie nach jeder Veränderung gutgelaunt in ihrem Willen zu baldiger Heilung zu bestärken.
In jenen Stunden, während wir durch die grüne Hügellandschaft südlich der Harzwälder ritten und uns Schritt um Schritt unserem Ziel näherten, grübelte ich lange über die Herkunft des Mädchens nach. Zwar behauptete Faustus, er könne nicht erkennen, ob sie tatsächlich seine Retterin aus Wittenberg war, doch die Inbrunst, mit der er sich um ihre Genesung sorgte, schien mir Anhaltspunkt dafür, daß er die Möglichkeit zumindest in Betracht zog. Vielleicht wollte er, daß sie es war; vielleicht suchte er jemanden, an dem er wiedergutmachen konnte, was ihm selbst an Gnade widerfahren war. In jenen Stunden verlor Faustus immer mehr von seiner überirdischen Aura. Aus meinem Meister wurde ein Mensch.
»Ist sie nun ein Engel oder nicht?« fragte ich ihn in der Nacht, bevor wir Eisenach erreichten.
»Wer an Engel glaubt, der glaubt an Gott«, gab er zur Antwort. »Und du verlangst wohl nicht von mir, daß ich Männern wie Asendorf Glauben schenke.«
»Das gilt auch für mich«, sagte ich eilfertig.
Faustus lächelte. »Ich würde dir nicht verübeln, wenn es anders wäre, mein Freund. Du hast jahrelang unter Bruder Martinus studiert. Auch er handelt aus Überzeugung vor Gott. Trotzdem macht ihn das nicht zu einem schlechten Menschen, und es würde auch dich zu keinem machen. Wichtig ist allein, daß du deinen Glauben vor dir selbst eingestehst.«
Ich seufzte. »Wenn das so einfach wäre…«
Er lachte und sprach nicht mehr davon.
Bei solchen und ähnlichen Gesprächen lag unsere neue Gefährtin stumm neben uns am Feuer, hielt die geschundenen Augen geschlossen und atmete ruhig ein und aus. Was ihre vermutliche Blindheit betraf, so war meine anfängliche Befürchtung falsch gewesen. Ihre Augen waren auf wunderbare Weise unverletzt geblieben, und wenngleich sie auf vieles erst spät oder zuweilen gar nicht reagierte, so besserte sich doch auch dies von Tag zu Tag. Allein zu sprechen vermochte sie nicht; sie nickte nur dann und wann dankbar, wenn Faustus ihre Wunden versorgte oder ich ihr ein Essen bereitete.
Es war eine seltsame Verbindung, die sich da zwischen uns entsponn, denn obgleich wir nichts über sie wußten, so wuchs sie uns doch durch ihre Hilflosigkeit immer mehr ans Herz. Wir überlegten sogar, ob wir ihr nicht einen Namen geben sollten, verwarfen den Gedanken aber schließlich, weil Faustus meinte, man solle keinem Menschen den wahren Namen streitig machen und es daher lieber bei Namenlosigkeit belassen.
Wider Erwarten schonte uns das Schicksal vor Asendorfs Mörderbande. Auf unserem Weg nach Südwesten mieden wir jede menschliche Siedlung, machten weite Bögen um Dörfer und Gehöfte und hofften so, keine Fährte für den Inquisitor und seine Schergen zu hinterlassen. Wenngleich wir uns nicht der Illusion hingaben, er habe die Jagd nach uns aufgegeben, so vergingen doch die Tage, ohne daß wir einen Hauch seines feurigen Atems in unseren Nacken spürten.
Während des ganzen Weges von Wittenberg nach Eisenach wußte Faustus jederzeit, in welche Richtung wir uns an Kreuzwegen und Gabelungen zu wenden hatten. Während ich selbst in den endlosen Wäldern und später auf eintönigen Hügelketten schon nach wenigen Meilen die Orientierung verlor, bereitete es meinem Meister keinerlei Schwierigkeiten, stets zu wissen, wohin wir unsere Pferde treiben mußten. Einmal fragte ich ihn danach und bekam darauf eine seiner seltsamen, unverständlichen Antworten:
»Wir reisen auf den Kraftadern der Erde, Wagner. Sie sind es, die uns den Weg weisen und uns
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