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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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daß sie es wirklich war; mit solchen Wunden wäre sie zweifelsohne kaum in der Lage gewesen, noch an das Schicksal eines anderen zu denken, geschweige denn, ihn zu befreien und zu flüchten. Andererseits war da, was Lara über ihre Zähigkeit gesagt hatte. Und sicherlich hatte sie recht: Kaum ein anderer hätte solche Verletzungen lebend überstanden.
    »Könnt Ihr etwas für sie tun?« fragte Lara.
    Faustus wandte seinen Blick nicht einen Moment von dem entstellten Gesicht. »Ich weiß es nicht. Ich will es versuchen. Doch das braucht Zeit, die wir nicht haben.«
    Eine Weile lang schwiegen wir alle. Ich glaubte etwas wie Erleichterung auf Gisbrands Gesicht zu entdecken: Der große Doktor Faustus vermochte nicht mehr als er selbst.
    »Ich müßte ständig um sie sein, um ihr zu helfen«, sagte Faustus schließlich. »Und selbst dann weiß ich nicht, ob ich sie retten kann.«
    »Aber sie hat das Schlimmste bereits überstanden«, widersprach Gisbrand. »Sie lebt, das ist das Wichtigste.«
    Faustus blickte auf und funkelte ihn wütend an. »Ihr solltet wissen, daß es damit keinesfalls getan ist. Brandwunden sind tückisch. Mag sein, daß sie noch Tage lebt und dann plötzlich, von einem Augenblick zum nächsten, stirbt. Und fraglos wird sie das«, fügte er zornig hinzu, »wenn sie noch länger diese Maske trägt.«
    Gisbrand kochte vor Wut. »Sie ist ein Engel!«
    Faustus schüttelte den Kopf. »Laßt mich die Wunden auf ihrem Rücken sehen.«
    Behutsam bettete er ihr Gesicht wieder auf das Kissen und sah zu, wie Gisbrand das weiße Nachthemd aufwärtsschob. Schließlich lag sie völlig entblößt da. Sie war schlank wie eine Elfe, doch unter der weißen Haut ihre Arme und Schenkel verliefen straffe Muskelstränge.
    Ihr Rücken war bandagiert, und es dauerte eine Weile, ehe Gisbrand die Verbände gelöst hatte. Er tat es widerwillig, und doch fügte er sich Faustus’ Wunsch. Vielleicht, weil Lara es so wollte.
    Gisbrand hatte die entsetzliche Wunde mit Kräutern und Salbe bestrichen, die den Anblick der verkrusteten, V-förmigen Verstümmelung noch scheußlicher machten. Ich sah Faustus an, doch der nickte nur stumm; er schien mit Gisbrands Behandlungsmethode einverstanden. Den Gaukler erstaunte dies offenbar noch mehr als mich selbst, denn auch er zog es vor zu schweigen. Die Überraschung hatte ihm die Sprache verschlagen.
    Ich begriff jetzt, woher er seine Überzeugung nahm. Die riesige Wunde sah tatsächlich aus, als hätte jemand mit dem Geschick eines Fleischers ein Flügelpaar aus dem Rücken des Mädchens geschnitten. Faustus fuhr vorsichtig mit dem Zeigefinger über die Krusten. Ich nahm an, daß er nach einem Ansatz von Knochen oder Knorpel tastete, der beim Mensch nicht an diese Stelle gehörte. Jedoch schien er durch die fingerhohe Schicht aus Grind und getrocknetem Blut nichts fühlen zu können.
    »Ihr habt die Wunde gut versorgt«, sagte er schließlich zu Gisbrand, der das Lob nur zögernd mit einem sanften Nicken annahm und sich dann daran machte, die Verbände zu erneuern.
    Lara beugte sich zu uns in den Wagen. »Wenn Ihr wirklich Zeit braucht, um sie gesundzupflegen, Faustus, warum schließt Ihr Euch uns nicht an?«
    Das Angebot überraschte uns alle gleichermaßen. Am Nachmittag noch hatte sie das Unheil beschworen, das unsere Anwesenheit über die Gaukler bringen würde – und nun bot sie uns an, zu bleiben. Vor allem Gisbrand schien diese Vorstellung nicht zu behagen.
    Faustus sprach aus, was alle dachten: »Die Gefahr für Euch wäre zu groß. Asendorf würde es erfahren, und er würde Euch ebenso gnadenlos jagen wie Wagner und mich.« Er schüttelte den Kopf. »Habt Dank, doch ich kann Euer Angebot nicht annehmen.«
    Lara nickte, fast ein wenig erleichtert. Es war ihr ernst gewesen, doch sie wußte sehr wohl um die Folgen, die Faustus und ich für ihre Leute bedeuten mochten. Sie hatte allein für das Wohlergehen des Mädchens gesprochen, und das war ihr hoch anzurechnen.
    »Wie Ihr wollt«, erwiderte sie leise.
    »Ich habe einen anderen Vorschlag«, sagte Faustus. Neugierig sah ich ihn an, als er fortfuhr: »Vertraut uns das Mädchen an. Wir werden sie mitnehmen, und ich kann mich unterwegs um sie kümmern. Das ist die beste Lösung für uns alle – vor allem für sie.«
    Dieser Meinung war ich keineswegs. »Aber, Meister, wie sollen wir es mit ihr bis zur Wartburg schaffen?«
    Ich bemerkte meinen Fehler noch im gleichen Moment. Faustus schenkte mir einen zornigen Blick. Ich hatte unser

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