Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Ziel laut ausgesprochen. Herrgott, was für eine erbärmliche Dummheit! Schnell sah ich mich zu Lara und Gisbrand um, doch die beiden zeigten kein Anzeichen dafür, daß sie überhaupt zugehört hatten. Die Worte meines Meisters beschäftigten sie viel zu sehr, als daß sie auf das achteten, was sein Schüler zu sagen hatte.
    »Sie wird Euch aufhalten«, wandte Lara ein. »Eine Flucht auf Leben und Tod wird sie nicht überstehen.«
    »Das laßt meine Sorge sein«, widersprach Faustus. »Ich verspreche Euch, wenn sie nicht bald von einem wirklichen Mediziner betreut wird – und versteht dies bitte nicht als Beleidigung, Meister Gisbrand –, lebt sie keine vier Tage mehr. Ich kann sie mit meinem Wissen retten. Da aber ich nicht mit Euch reisen kann, muß sie mit mir kommen. Es ist die einzige Möglichkeit.«
    »Ich glaube nicht, daß sie bei uns sterben wird«, fuhr Gisbrand auf. Sein Gesicht bebte vor unterdrückter Wut. »Ihr spielt Euch auf zum Herrscher über Leben und Tod, Doktor Faustus. Man hört manches über Euch, das dem zuwiderspricht. Es heißt, Ihr seid ein Quacksalber.«
    Faustus sah ihn an und lächelte höflich. »Ihr schenkt nicht nur den Lehren der Kirche zuviel Glauben, sondern auch ihren Verleumdungen.«
    »So es Verleumdungen sind«, entgegnete der zornige Gaukler.
    Er wollte noch etwas sagen, doch im selben Moment traf Lara eine Entscheidung. »Ich bin einverstanden mit Eurem Vorschlag, Faustus«, sagte sie zu meiner und Gisbrands Bestürzung. »Ich glaube Euch, daß Ihr gewissenhaft für sie sorgen werdet. Und falls Asendorf Eurer habhaft werden sollte – nun, das Schicksal, das sie erwartet, bleibt so oder so dasselbe.«
    Ich ahnte, was sie zu diesem Entschluß getrieben hatte. Sie vertraute Faustus tatsächlich, doch zugleich schien ihr Gisbrands Feststellung, das Mädchen sei ein gefallener Engel, Unbehagen zu bereiten. So war sie nur froh, sich der unheilvollen Last auf elegante und menschliche Art entledigen zu können.
    Gisbrand wollte erneut etwas einwenden, als draußen im Lager plötzlich Lärm aufkam. Unruhe breitete sich in spürbaren Wellen aus, erst Gemurmel und behutsames Geflüster, dann schließlich sorgenvolle Rufe. Die bärtige Frau erschien neben Lara im Halbrund des Einstiegs. »Komm, schnell!« sagte sie mit männlicher Stimme. »Sieh dir das an!«
    Lara warf uns einen verstörten Blick zu, dann wandte sie sich ab und verschwand. Wir anderen reckten besorgt die Köpfe aus dem Wagen und blickten hinaus, in der furchtvollen Ahnung, Asendorfs Männer seien ins Lager zurückgekehrt. Doch von ihnen war keine Spur zu entdecken. Statt dessen standen nur die Gaukler zwischen den Planwagen auf der Wiese und blickten mit aufgerissenen Augen zu einem Punkt hoch über dem Tal. Trotz der Dunkelheit bemerkte ich ihre verstörten Mienen.
    Als ich ihren Blicken folgte, sah auch ich, was ihre Ängste schürte.
    An der Nordseite des Tals, oben auf dem Berg, stand Friedberts Mühle und war in waberndes, rotes Licht getaucht. Nur ihre Spitze und drei der vier Windflügel ragten über den Wipfeln der Fichten empor, und doch war deutlich zu erkennen, daß an ihrem Fuß ein Feuer brannte. Sein Schein tauchte den oberen Teil der Mühle von unten her in flackernde Helligkeit. Es wirkte gespenstisch, als sei die Mühle eine überirdische Erscheinung, die sich eben erst aus einer anderen Welt als der unseren manifestiert hatte.
    Sie haben die Mühle in Brand gesteckt! dachte ich voller Empörung, doch was folgte, belehrte mich eines Besseren. Mit einem Mal begannen die Flügel der Windmühle langsam nach rechts zu schwingen und sich zu drehen. Das schmerzvolle Ächzen der Gewinde war bis hinab ins Tal zu hören. Zugleich ertönte ein Schrei, der mich über die Jahre hinweg noch bis heute verfolgt: Langgezogen und hoch, so wie kein Mensch ihn ausstoßen kann – es sei denn im Augenblick höchster Qual. Es war ein Laut solcher Pein, daß selbst Faustus, der schon viele hatte sterben sehen, erstarrte und die Augen vor Entsetzen weit aufriß.
    Die Flügel der Windmühle drehten sich weiter, und jetzt kam jener hinter den Wipfeln zum Vorschein, den die Bäume bislang vor unseren Blicken verborgen hatten. An seinem äußeren Ende hing Friedbert, der Müller, mit gespreizten Armen und Beinen, und er brannte lichterloh. Asendorfs Schergen hatten ihn gekreuzigt und in Brand gesteckt. Unbarmherzig drehten sich die Flügel weiter, bis der, an dem das Feuer loderte, den höchsten Punkt erreicht hatte. Zwei der

Weitere Kostenlose Bücher