Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
kein Wort mehr mit ihm.
Am späten Nachmittag endlich blickten wir von der Kuppe eines Hügel hinab auf Eisenach. In einiger Entfernung hockte die Wartburg auf einem dicht bewaldeten Bergrücken. Trutzig reckte sie ihre Mauern, Wehrgänge und Türme dem grauen Wolkenhimmel entgegen. Meine sauertöpfische Laune wich nur allmählich. Erst als ich aus der Ferne das erste Wirtshaus erblickte, hob sich meine Stimmung – um sich gleich darauf erneut zu verfinstern, denn Faustus ritt achtlos daran vorüber.
Zumindest diesmal war er im Recht. Wir durften nicht noch mehr Zeit verlieren. Erst, wenn sich die Tore der Wartburg hinter uns schlossen, waren wir vor Asendorfs Schergen in Sicherheit.
Wir umrundeten die Stadt und hielten dabei immer wieder Ausschau, ob der Hexenjäger und sein Mördertrupp uns bereits zuvorgekommen waren. Doch Straßen und Häuser wirkten friedlich, die wenigen Landsknechte, die wir aus der Ferne beobachteten, gehörten ihrer Kleidung nach zur Eisenacher Stadtgarde und hatten offenbar keine gesonderte Order bekommen, Ausschau nach zwei Ketzern in Augustinerkutten zu halten. Erstmals schöpfte ich neue Hoffnung.
Wir ließen die Häuser hinter uns und ritten durch den Wald hinauf zur Burg. Von oben mußte sie in etwa die Form einer Schuhsohle haben, das schmale Ende im Norden, das breite im Süden. Klotzige Steinbauten, überdachte Wehrgänge aus Fachwerk und ein mächtiger Bergfried krönten ein schmales Felsplateau, das weit über die Wipfel der höchsten Bäume ragte. Eine steinerne Rampe führte hinauf zur Zugbrücke, neben der zwei Wachtposten mit Schwertern und Hellebarden Aufstellung bezogen hatten.
»Meldet Eurem Hauptmann, wir seien Freunde des Bruders Martinus aus Wittenberg«, bat Faustus den einen. »Wir werden erwartet.«
Der Mann gab die Worte an einen Laufburschen weiter, und eine Weile später ertönte aus dem Torhaus der Befehl, uns einzulassen. Die Blicke der Wachtposten folgten uns mißtrauisch. Vor allem das Mädchen, das seinen Kopf unter der Kapuze verbarg, schien ihnen nicht geheuer.
Wir ritten unterm Torhaus hindurch und gelangten in einen engen Innenhof, der sich erst in einiger Entfernung verbreiterte und vor einer hohen Mauer endete; sie trennte den Nord-vom Südhof. Links von uns wuchs die Burgmauer empor, gekrönt von einem Wehrgang. Zu unsere Rechten stand ein zweistöckiger Fachwerkbau. Faustus und ich stiegen von den Pferden und halfen dem Mädchen aus dem Sattel. Unsicher, mit gesenktem Haupt, stand es da und hielt sich am Sattelknauf fest.
Mägde und Dienstmänner bevölkerten den Hof. Ein paar Soldaten der Burggarde saßen am Fuß der Mauer und reinigten ihre Büchsen. Kaum jemand schenkte uns Beachtung. Zwei Stallknechte eilten herbei und führten unsere Pferde davon. Gleichzeitig trat aus dem Haus rechts von uns ein untersetzter Mann mit hellgrauem Haar und ebensolchem Vollbart. Er trug teure, jedoch keine prunkvolle Kleidung: ein purpurnes Hemd, darüber ein schwarzes Wams und enge Hosen. Seine Füße steckten in Stulpenstiefeln, der Fußbekleidung der Edelleute.
»Ich bin Hans von Berlepsch, Hauptmann der Wartburg«, sagte er und blieb zwei Schritte vor uns stehen. »Und Ihr seid –«
»Freunde Martin Luthers«, unterbrach ihn Faustus. Das war unhöflich, aber nötig – der Hauptmann hätte sonst des Doktors wahren Namen ausgeplaudert. Dabei mußte doch niemand, vor allem nicht die umstehenden Dienstleute und Soldaten, erfahren, wer wir wirklich waren.
Berlepsch verstand und nickte freundlich. »Ich begrüße Euch und bitte Euch, mir zu folgen.«
Das taten wir und gelangten so ins Innere der Vogtei. Die Wände waren aus Holz, vielfach verputzt, die Böden teils aus Stein, teils aus Dielen. Durch niedrige Bogentüren gelangten wir in einen Raum, der dem Hauptmann als Arbeitszimmer diente. Es gab einen großen Tisch, auf dem allerlei Schriftstücke und Grundrisse, eine Tabaksdose und zahlreiche Federn und Griffel umherlagen. Davor standen mehrere Stühle.
Der Hauptmann bat uns Platz zu nehmen.
Faustus blieb stehen. »Verzeiht«, sagte er, »aber unsere Gefährtin hier braucht dringend ein Bett.« Damit gab er dem Mädchen ein Zeichen, die Kapuze zurückzuziehen. Sie tat es in einer langsamen, beinah träumerischen Bewegung.
Berlepschs Mund öffnete sich, doch das Keuchen, das ihm beim Anblick der grauenvollen Brandwunden entfleuchen wollte, blieb ihm vor Mitleid und Grauen im Halse stecken. Dann, ganz plötzlich, verwandelte er sich in einen
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