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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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regelrechten Derwisch von Beflissenheit und Sorge.
    »Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?« rief er, wartete aber die Antwort nicht ab und rief sogleich durchs offene Fenster zwei Mägde herbei.
    Als die beiden Frauen in die Stube eilten und die Verletzungen des Mädchen sahen, schauderten sie, sagten aber kein Wort.
    »Bringt dieses arme Geschöpf in mein Gästezimmer«, ordnete der Hauptmann an. »Bettet sie gut und gebt ihr alles, was sie verlangt.«
    »Sollen wir Euren Leibarzt rufen?« fragte die eine Magd stockend und zwang sich sichtlich, den Blick von dem Mädchen zu wenden.
    Berlepsch sah Faustus an, doch der schüttelte den Kopf. »Ich werde mich selbst um sie kümmern«, sagte er.
    Der Hauptmann nickte. »Ihr habt es gehört«, sagte er zu den Mägden. »Ich will, daß ihr beide an ihrer Seite wacht.«
    »Aber haltet euch von ihren Verbänden fern«, fügte Faustus hinzu. »Ich selbst werde sie später wechseln.«
    Die Mägde verneigten sich und führten das Mädchen hinaus. Es folgte ihnen stumm und mit langsamem Schritt. Wieder bewunderte ich es um seiner schnellen Genesung willen. Es hatte mehr Kraft als alle Männer, die ich kannte.
    Die Frauen schlossen die Tür hinter sich, und wir waren allein mit dem Hauptmann.
    »Ihr seid also Doktor Faustus«, sagte Berlepsch und schüttelte meinem Meister herzlich die Hand. Dann wandte er sich an mich: »Und Ihr müßt Wagner sein, der Adlatus, über den Bruder Martinus schrieb. Euer Vormund hält große Stücke auf Euch.«
    Ich grinste erfreut und beschloß, den Hauptmann zu mögen. Er wirkte ehrlich, hatte eine feine Aussprache, und die prallgefüllten Bücherregale an den Wänden seiner Stube ließen auf einige Bildung schließen. Seine Händedruck war fest und kräftig, wenngleich er ein wenig kleiner war als ich selbst und eine gehörige Leibesfülle besaß. Er verbreitete eine Gemütlichkeit und Ruhe, die ich während der vergangenen acht Tage schmerzlich vermißt hatte.
    Im Gespräch mit ihm erfuhren wir nun, daß Kurfürst Friedrich Martinus’ Brief zwar noch empfangen hatte, sich aufgrund eiliger Regierungsgeschäfte aber nach Dresden hatte begeben müssen. Zuvor jedoch hatte er seinem Burghauptmann aufgetragen, die beiden Freunde seines Wittenberger Schützlings mit offenen Türen zu empfangen und sie für beliebige Dauer auf der Wartburg aufzunehmen. Berlepsch selbst schien keinerlei Scheu vor dem Ruf meines Meisters zu haben, vielmehr bekundete er offene Sympathie für einen so weitgereisten Schwarzkünstler – wenngleich er selbst es doch lieber mit den Lehren des Christentums hielte, wie er schmunzelnd ergänzte. Allerdings, so gestand der Hauptmann, sei auch ihm das herrschaftliche Getue der päpstlichen Pfaffen zuwider, und es sei hoch an der Zeit, die Bischöfe und Äbte von ihren prunkvollen Gütern zu vertreiben und den Päpsten in Rom die Völlerei zu verbieten. Jeder, der sich gegen die selbstherrlichen Robenträger stelle, sei ihm willkommen, und er wolle es im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht an Unterstützung mangeln lassen.
    Schließlich fragte er, was denn dem Mädchen zugestoßen sei. Faustus gab eine Halbwahrheit zur Antwort: Wir hätten sie am Wegesrand aufgelesen, in eben jenem Zustand, und es sei uns bislang nicht gelungen, auch nur ein Wort aus ihr herauszubekommen. Allerdings, so mein Meister weiter, gebiete es nicht nur die christliche Nächstenliebe, einem solchen Geschöpf zu helfen, und deshalb sei sie nun mit uns hier. Darauf beteuerte Berlepsch noch einmal, daß er alles in seinen Kräften stehende zur Gesundung des armen Dings beitragen werde.
    Dergestalt in Freundschaft übereingekommen, ließ der Hauptmann uns zwei Kammern in einem Haus an der Ostseite der Burg bereitstellen. Das Mädchen ruhe besser in seinem Gastzimmer in der Vogtei, sagte er, weil es dort trockener und auch ein wenig wärmer sei, was der Heilung sicher zugute kommen werde. Natürlich, so fügte er hinzu, könne Faustus jederzeit zu ihr und sich ihrer annehmen. Des weiteren würde er sich glücklich schätzen, wenn wir ihm am Abend beim Essen Gesellschaft leisten würden.
    Froh und zufrieden über die erfreuliche Wendung der Umstände verließen wir sodann den Hauptmann und bezogen unsere Kammern. Sie waren weder so kalt noch so feucht, wie Berlepsch angedeutet hatte, wenngleich offenbar war, daß die Räume seit längerem nicht genutzt worden waren. Sie lagen unter dem Dach des dreistöckigen Gebäudes, und aus ihren schmalen Fenstern blickte

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