Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
die Stärke geben, ihn zu meistern.«
»Das verstehe ich nicht«, gestand ich kleinlaut.
»Weißt du, was man unter der Kunst der Geomantie versteht?«
»Nein, Meister.«
»Der Geomant sieht die Erde als lebendiges Wesen, das mit einem Netz von Adern und Nerven durchzogen ist«, erklärte Faustus. »Viele sind unsichtbar und können nur vom Geist ertastet werden, andere aber sind greifbar, wie mancher Wasserlauf oder die Gold-und Erzadern tief unten im Gestein. Das wußten zum Beispiel auch die Baumeister der großen Kathedralen. Sie spürten, daß sich an bestimmten Orten zahlreiche jener unsichtbaren Verbindungen trafen, und so Plätze besonderer Macht entstanden. Sie behaupteten oft, der heilige Geist habe sie an jenen Stellen überkommen und ihnen die Kraft gegeben, dort ihre Dome zu errichten. Dabei war es allein die Macht der Erde, die sie spürten.«
»Aber, Herr«, gab ich zu bedenken, »glaubt Ihr nicht, daß…«
»Daß dies alles Unsinn ist?« führte Faustus meine Frage zu Ende. »Keineswegs. Ich glaube, daß in diesen Kraftadern die wahre Macht unserer Welt verborgen liegt. Sie sind die Straßen der Erdgeister. Der Mensch, der sich dieser Wege bedient, nimmt dabei einen Teil ihrer Kraft auf. Das stärkt ihn und weist ihm die richtige Richtung.«
Um ehrlich zu sein, ich hielt die Worte meines Meisters für ziemliches Gefasel. Ich war offen für so manche Absonderlichkeit, und dies war nur eine von vielen, die ich während meiner Reisen mit ihm erlebte. Ich hörte ihm zu, wenn er dergleichen erzählte, merkte mir auch sein Worte, doch der wahre Glaube daran blieb mir verschlossen.
Tatsache allerdings ist, daß Faustus oft auf das Netz der Kraftadern zu sprechen kam, und seinen Weg immer wieder nach ihrem Verlauf bestimmte. Er behauptete, er könne sie spüren, und es sei wichtig, daß man den Weisungen der Erdgeister Folge leiste.
Als ich dahinterkam, wie viel ihm dies tatsächlich bedeutete, kam es zum ersten Mal zu Unstimmigkeiten zwischen uns. Kurz bevor wir unser Ziel erreichten, fragte mich Faustus mit Unschuldsmiene: »Sag mir, Wagner, wieviele Tage sind wir nun von Wittenberg bis Eisenach gereist?«
»Sieben, Herr.«
Faustus lächelte listig. »Aber sprach Martinus nicht von fünf Tagesritten?«
»Ich nehme an, er hat sich getäuscht.«
»So, so«, sagte Faustus, »das glaubst du also. Nun, ich fürchte, ich muß dir ein Geständnis machen. Wir sind einen Umweg von zwei Tagesreisen geritten.«
»Einen Umweg, Herr?« fragte ich verblüfft.
»Ja, Wagner. Die Kraftader, der wir folgten, machte einen weiten Bogen, und ich beschloß, ihr zu folgen, statt den kürzeren Weg zu nehmen.«
»Aber warum, Herr?« verlangte ich zu erfahren. Ich fühlte mich hintergangen, ja, ich glaubte gar, er habe unser aller Leben aufs Spiel gesetzt, nur um seinen geomantischen Spinnereien nachzugehen. Erstmals spürte ich Wut auf meinen neuen Lehrherrn.
»Wie fühlst du dich, Wagner?« stellte Faustus eine Gegenfrage.
»Gut«, knurrte ich mißmutig.
»Hat die Reise an deinen Kräften gezehrt?«
Darauf hatte ich bislang noch keinen Gedanken verschwendet, doch als ich nun in mich hineinhorchte, mußte ich wohl oder übel gestehen, daß ich mich trotz aller Strapazen und Entbehrung nicht schwächer oder gar ermattet fühlte.
»Nicht wirklich«, entgegnete ich deshalb.
Er nickte zufrieden. »Grund dafür ist die Macht der Kraftadern. Es würde mich nicht wundern, wenn auch die schnelle Heilung unserer Freundin damit zutun hätte.«
Das Mädchen saß reglos im Sattel. Ihr verbranntes Gesicht wurde vom Schatten der Kapuze verborgen. Sie verriet weder Ablehnung noch Zustimmung.
Mein Zorn blieb ungeschmälert.»Asendorf hätte uns fangen oder unseren Weg abschneiden können. Wie konntet Ihr nur eine solche Gefahr eingehen?«
»Es war nötig«, erwiderte Faustus knapp. »Die Erdgeister sind uns wohlgesonnen.«
»Warum waren dann nicht sie es, die Euch aus dem Kerker befreiten?« fragte ich bissig, durchaus in der Absicht, ihn zu verletzen. Zwei Tage Umweg! Er mußte den Verstand verloren haben.
Faustus lächelte. »Ich verstehe deine Wut, lieber Wagner. Doch auch du wirst eines Tages begreifen, weshalb es nötig ist, nicht immer gleich den schnellsten Weg zu gehen. Die Macht im Inneren der Erde ist unerschöpflich. Man muß nur verstehen, sie zu nutzen. Laß uns nicht länger streiten und gib dir ein wenig Mühe, meine Entscheidung zu akzeptieren.«
Mürrisch gab ich nach und sprach für den Rest des Tages
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